Gedichte, Geschichten & Gedanken von Menschen aus Lützerath!
Impressum
Anti-Copyright! Reprint freely!
Kommerzielle Verbreitung untersagt!
Verfasser*innen: Lützi lebt
Veröffentlichung: Januar 2025
Vorwort
Es ist endlich soweit!
Ihr haltet das langersehnte Lützi Zine in euren Händen.
Nach einem langen, holprigen und teilweise frustrierenden Entstehungsprozess mit zig Deadlines, erscheint es jetzt pünktlich zum zweiten Jahrestag der Räumung und Zerstörung der Besetzung in Lützerath. Es soll dazu beitragen, zu reflektieren, Erfahrungen zu teilen und festzuhalten und zu erinnern.
Zugegeben, es ist etwas voll geworden. Schlussendlich hatten wir doch sehr viele Einsendungen und wollten alle Perspektiven mit reinnehmen. Wir, das ist eine kleine Crew aus Leuten, die unterschiedlich lange in Lützerath gelebt haben und sich von dort kennen. Wir positionieren uns unterschiedlich und haben versucht, den Prozess möglichst hierarchie- und diskriminierungsarm zu gestalten.
Freut euch auf unterschiedlichste Beiträge in Form von Bildern, Gedichten, Analysen, Tagebucheinträgen und vieles mehr. Die Einsendungen stammen von Menschen der Lützi Community, die kurz- oder langfristig in Lützerath gelebt haben, die regelmäßig zu Besuch waren, von Menschen aus den Dörfern, von den unterschiedlichen Akteur*innen - einfach von Menschen mit Bezug zu Lützi. Der Aufruf erfolgte über Signal- und Elementgruppen, sowie auf einschlägigen Events der Klimagerechtigkeitsbewegung. Damit haben wir nur einen bestimmten Teil der Community erreicht. Entsprechend erhebt dieses Zine keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da noch viele weitere wichtige Perspektiven nicht auftauchen. Die Beiträge erscheinen hier in unveränderter Form und stellen natürlich immer nur subjektive Perspektiven dar.
Eine Onlineversion zum selber drucken und verbreiten findet ihr unter https://zine.luetzerathlebt.info oder unter: https://luetzi-lebt.codeberg.page/luetzine.
Um Barrieren herabzusetzten, wird diese mit Screenreadern zugänglich sein. Außerdem streben wir an, dass dort jeder Text sowohl auf englisch, als auch auf deutsch verfügbar sein wird. Sicherlich ist auch die verwendete Sprache an vielen Stellen durch „Szenesprech“ nicht sehr zugänglich, daher findet ihr am Ende ein Glossar, welches die wichtigsten Begriffe erklärt.
Aus Lützi gibt es auch darüber hinaus noch so viel raus zu zine ;) Falls euch dieses Zine inspiriert und ihr auch Lust habt für die zweite Augabe etwas zu kreieren, schickt eure Beiträge gerne an luetzine@proton.me (PGP Key auf Anfrage). Gebt uns gern auch Anregungen und Feedback :)
Nun aber viel Spaß beim Lesen und Erinnern. <3
Lützi Lebt!
Eure Lützi Zine Crew
Die Anreise
Der Regionalzug entfernt sich in ein frühes Tageslicht, das sich mühsam den Weg durch die tiefen Wolken bahnt. Die Pflastersteine des schmalen Bahnsteigs liegen schief und verborgen unter morgenreifbleichen Grashalmen. Die Stille zwischen den wenigen Häusern, die sich um den Bahnübergang wie Frierende aneinander ducken, verstärkt die Kälte.
Der Morgen ist ein guten Morgen, wenn kein Eis auf den Pfützen liegt. Wenn die Fahrradreifen den grauen Firnis an den Banketten neben den asphaltierten Radwegen zerbrechen müssen, ist der Boden zwischen den Feldern gefroren. Heute spritz Wasser, das von den Reifen hochgeworfen wird, gegen Schuhe, Hose und Fahrradrahmen. Der Nebel liegt mit kalter Schwere auf der Landschaft, kriecht eisig unter die Kleidung bis an die Haut. Der Fahrtwind schnitzt mit blauem Messer Grimassen ins Gesicht, während die Wegstrecke vorbeiführt an den braunen Wällen aufgehäufter Zuckerrüben, die nach der Ernte am Rand der Äcker noch auf den Abtransport warten.
In der Ferne sind Baumgruppen und Windräder eingehüllt in eine graue Eiswatte, die in zäher Erstarrung jede Regung in einen Stillstand zwingt. Die Bewegungen der Zweige, die Drehung der Windradflügel und das Schleiern der Nebelschwaden sind in Reglosigkeit eingefasst, als wäre ein trübes Kunstharz in die Landschaft hineingegossen worden, um die Erstarrung der Zeit selbst augenfällig vorzuführen. Vom schwarzen Strommast fällt ein Habicht herab, der gequält seine Schwingen aufspannt und sich unter Mühen auf die kältetrübe Luft legt mit schwerem Flügel, um Schlag für Schlag wieder an Höhe zu gewinnen. Hasen hocken geduckt in den Furchen der Felder, Fasane dauern im Unterholz der Winterhecken.
Die Landschaft unter diesem Bild der Erstarrung streckt sich in sanften Wellen aus bis zu den Wolken und Nebeln, unter denen der Horizont versunken ist, da das Grau des Winters in zähen Schlieren aus dem bedeckten Himmel auf den Reif der Felder überfließt. Der Rhythmus des Hebens und Senkens der Ackerflächen gibt dem Land Struktur, sorgt für Orientierung, prägt Landmarken aus zwischen den Kirchtürmen und Straßenkreuzungen. Immer wieder lässt sich Schwung holen in der Abfahrt, um die nächste Anhöhe auch in einem hohen Gang der Nabenschaltung überwinden zu können. Der Rucksack wärmt den Rücken und der Atem dampft in der Winternebelluft.
Es dauert eine Zeit, bis sich das Ziel, die Landmarke im Osten, aus dem wolkengrauen Wintermorgenlicht herausschält, da der letzte Ort vor dem Abgrund hinter dem Rücklicht schon wieder in Trübnis einsinkt. Die alte Landstraße führt hier noch entlang der Kohlengrube, bevor im Norden die Maschine sie bereits aufgefressen und verdaut hat. Oben auf der Anhöhe sind der Alte Hof zu erkennen, die markante Pappelreihe, die alte Linde. Es geht vorbei an zu Trümmern geschlagenen Häusern, die sich vergebens der Maschine erwehrt hatten und bereits untergegangen sind. Der Eiswind wird kälter.
Hinter der Kuppe des Anstiegs versperrt das Tor den weiteren Weg zum Weiler. Metallgitter queren die Straße zwischen den Holztürmen, dahinter sind Barrikaden im Aufbau zu erkennen. Eine Konstruktion aus Seiltraversen und Holzkreuzen gibt dem Tor seinen kühnen Halt, als müsse sich dieser waghalsige Aufbau mit aller Kraft gegen eine Erstarrung, einen atemlosen Stillstand stemmen, der langsam und drohend die Anhebung hinaufkriecht, um Zug um Zug alles Lebhafte zu erfassen. Blickt man zurück in die Landschaft, steht es sich hier wie auf einem Aussichtsposten auf eine Welt, die in gespannter Erwartung zu diesem Ort hinaufblickt:
“Willkommen in Lützerath”
(zone à défendre)
Ankommen in Lützerath
Es war sehr kalt und sehr neblig, als ich an dem Ortsschild vorbeilief, auf dem Holzweiler durchgestrichen war und das Feld für den kommenden Ort so leer war wie die neblige Landschaft. Kam da noch was? Heute leider nicht mehr, doch im Dezember 2022 war mir klar, dass in diesem Nebel irgendwann Lützerath auftauchen würde. In gespannter Erwartung setzte ich auf dem Schotterweg zwischen den gefrorenen Äckern einen Fuß vor den anderen. Ich kam, weil ich in einem weit entfernten Kulturzentrum einen Film über die Danni-Besetzung gesehen hatte, in dessen Anschluss ein Gespräch darüber stattgefunden hatte, wie die räumungsbedrohte Besetzung in Lützerath von der Stadt aus unterstützt werden kann. Im Verlauf dieses Abends sagte mir eine Schwarze Person, dass Lützi für mensch der Ort sei, an dem mensch am wenigsten überhaupt mit Rassismus konfrontiert sei. Wow, dachte ich, was muss das für ein Ort sein! Und unabhängig davon erfuhr ich von einer Person im Rollstuhl, dass es für mensch der barrierefreiste Ort in Deutschland sei. Ein Ort mit Baumhäusern und Matsch barrierefrei? Wie auch immer dieser Ort genau aussah, ich wusste: Dort muss ich hin. Und so fuhr ich, nachdem sich auf mein wiederholtes Bestreben aus meiner bisherigen Politgruppe keine Menschen fanden, die sich für einen Besuch in Lützerath die Zeit nehmen wollten, schließlich alleine hin. Und wanderte durch den Nebel, bis erste Umrisse von Bäumen und Häusern sichtbar wurden.
Sehr bald darauf kam ich mit Menschen ins Gespräch und kaum ein paar Minuten später wurde mir ein kleiner Raum in der Paula (einem der Höfe) gezeigt, den ich vorerst bewohnen könne. „Mach die Tür zur Treppe am besten immer zu, wegen der Ratten.“ Alles klar. Ich richtete meine Schlafsachen her, weil es gerade noch hell war, und ging zur Küfa. Wo gibt es das schon, einen Ort, an den ich einfach so kommen kann? An dem ich Essen und einen Schlafplatz bekomme, ohne dass jemand etwas von mir verlangt? Ohne, dass ich irgendjemanden kenne? Ohne dass mir viele Fragen gestellt werden? Nach dem Singen am Lagerfeuer laufe ich mich noch etwas warm und gehe schlafen. Vor meinem inneren Auge ziehen Bilder vorbei. Von dem riesigen Loch, das RWE hier in den Boden riss. Von all den anderen anti-extraktivistischen Kämpfen weltweit. Wo Menschen unter häufig sehr sehr hohem Einsatz ihrer Zeit, Gesundheit und ihrem Leben gegen die extraktivistischen Imperien kämpfen. Für unser aller Lebensgrundlagen. Am Tower habe ich das Banner zum Gedenken an die Ogoni Nine gesehen. Wer waren sie gewesen? Wie hatten sie sich organisiert? Ich wusste so wenig. Dabei hatten sie in Nigeria mit so viel Einsatz gegen Shell gekämpft und die Bewegung für das Überleben der Ogoni (Movement for the Survival oft he Ogoni People MOSOP) war riesig…
Am nächsten Tag war ich zunächst einfach Teil der Abläufe und lernte – Küfa, to do Plenum, Hütten reparieren, Check-In-Gruppe, Küfa, ein Spaziergang durch die verschiedenen Barrios, Plenum – eingeleitet durch einen Awareness-Input, Küfa, Spülen und Lagerfeuer. Gespräche, Begegnungen, Stille an der Kante, und die Realisierung, dass dies wohl der Ort in Deutschland ist, an dem ich am allerseltensten misgendert werde.
Als ich zurück in die Paula kam und mich sehr schwer damit tat, die Schuhe auszuziehen, weil ich befürchtete, dass meine Füße auf dem gefliesten Boden schuhlos noch kälter werden würden, fragte ich die Person, die mir entgegen- kam etwas kleinlaut, ob ich meine Schuhe ausnahmsweise anlassen kann. Denn an der Wand stand ja, mensch möge sie ausziehen. „Das musst du selbst wissen“ war die freundliche, aber bestimmte Antwort und damit hätte ich nicht gerechnet. Aber klar doch, dachte ich dann, Selbstverantwortung! Und zog die Schuhe aus. Solche Erlebnisse hatte ich in diesen Tagen einige. Im Grunde war es eine dreifache Befreiungsbewegung: Zum einen endlich ein Teil einer Welle des langen und zähen Befreiungskampfs gegen die Mechanismen sein, die Lebensgrundlagen abbaggern und zu immer noch viel mehr Ungleichheit führen. Dann eine Befreiung von so manchen unsinnigen Normen und Zwängen im unmittelbaren Miteinander und Befreiung hin zu einem anderen in der Welt sein, der Möglichkeit, anders miteinander umzugehen, sich anders zu organisieren, anders miteinander zu leben. Später, zurück in meiner Stadt, merkte ich, was für ein enormes Politisierungsmoment in dieser Erfahrung steckte. Es war wie eine zweite Sozialisierung im Schnelldurchlauf, eine andere Subjektivierung. Welche zur Folge hatte, dass ich zurück in meiner Stadt so gar nichts mehr verstand und mich erst einmal total entfremdet fühlte. Warum sprachen Menschen so häufig so unpolitisch über das, was sie störte? Warum war nicht längst alles ganz anders organisiert – wenn das doch möglich war?
Bis ich mit einer Person sprach, die in der Hausbesetzungsszene aktiv gewesen war und mich gut verstehen konnte, fühlte ich mich sehr verloren. Ich war eingeklemmt zwischen zwei Welten. Einer räumungsbedrohten Realutopie und einem Leben in stabilen Institutionen. Zum Glück wird inzwischen fleißig an stabilen Realutopien gebaut! Und zum Glück konnte ich dann doch auch noch ein paar Menschen bewegen, noch einen Fuß nach Lützerath zu setzen. Denn es ist eine Erfahrung, die sich nicht einfach so mitteilen lässt. Es ist eine Erfahrung, die gemacht werden will – und die uns dann wiederum ermöglicht, diese andere Sozialisierung mit uns zu tragen und auszustrahlen: Ein anderes Zusammenleben ist möglich – wir haben Funken davon erlebt! Damit möchte ich nicht sagen, dass Lützi eine heile Welt war – bei weitem nicht. Aber ich habe vorher noch keinen Ort erlebt, der sich so ernsthaft und geduldig auf den Weg gemacht hat. Mögen überall weitere entstehen! So wie hier im Wald bei Grünheide – denn im Trinkwasserschutzgebiet hergestellte elektrifizierte Individual-SUVs, die noch dazu Rohstoffe von Minen beziehen, gegen die schon ganz lange aus sehr guten Gründen gekämpft wird, sind wirklich keine Lösung!
Deutschland
K [ka:]
Warning
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Polizeigewalt, Grenzgewalt |
Deutschland, ich warte an deinen Ausfahrten ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten. Ein Spatz tanzt über abgasvernebelten Asphalt. Wann rollst du mir dein Fenster herunter? Deutschland, ich stehe frierend am Morgen und sammle das hinterbliebene Pfand deines Rausches. Es kann doch nicht sein, dass du mit dem Holocaust umgehst wie ein Alkoholiker mit seinem Wochenende? Deutschland, wer soll nur deine Grenzen schützen? Die Polizei ist beschäftigt, mich vom Seitenstreifen aufzusammeln. Deutschland, ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten: Perplexer Rentner sucht seine Paybackkarte kratzt sich am Sack. Ich wusste nie, dass man auch Muskelkater in seinem Daumen bekommen kann Deutschland, ich weiß, dass ich in letzter Zeit wenig zuhause war, aber wieso verschließt du selbst deine Mülltonnen vor mir? Wenn ich schon angeklagt werde Bananen aus deinen Containern zu fischen sollte ich vielleicht wieder anfangen, frisch im Laden zu klauen. Deutschland, ich werde dir das Sie nicht anbieten! Deutschland, wer soll nur deine Grenzen schützen? Sie wachsen weiter und weiter mit jedem Tag. Deutschland, ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten: Die Fliegen lösen sich von der Hundescheiße wie ein Wirbelwind. Deutschland, Ich wünschte ich würde so viel in meine Zukunft investieren wie du in deine Kirchen. Ich habe vor unsere Probleme noch in DIESER Welt zu lösen Nicht im JENseits! Deutschland, wer soll nur deine Grenzen schützen? Deutschland, ich stehe an deinen Grenzen. Ich sehe nichts als Abweisung, Trennung, Gewalt, warten auf den Pushback in Kafkas endlos engem Balkanflur der blendenden Bürokratie. Türen führen im Kreis zurück in den Wartebereich; hoffentlich sind die Antibiotika nicht wieder aus Deutschland ich stehe an deinen Grenzen und sehe durch die Augen einer 8-jährigen wie ein Schlauchboot mit 50 Menschen unter Schüssen der Küstenpolizei langsam in lichtlos salzigem Teer des Schwarzen Meeres versinkt. Deutschland wieso schickst du deine Waffen nach Syrien? Mario Barth wohnt in Berlin-Rudow. Deutschland, ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten, Kassiererin schaut weg, ich krieche durch den Kindereingang der Sanifairtoilette. Deutschland, deine Koalition ist kaputter als die Ehe meiner Eltern Du weißt es steht nicht gut, wenn der Nachbar besorgt von schreienden Kindern und fliegendem Geschirr die Rechten vor deine Tür wählt. Deutschland ich weiß, wir haben wenig gemeinsam, aber lass uns doch zusammenbleiben für die Kinder! Deutschland, ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten. Frisches Karma an Autos kehrt zurück wie weggewischte Tropfen auf der Windschutzscheibe. Deutschland, es wird Zeit Amphetamine auch für den Otto Normalverbraucher und seine alleinerziehende Frau zugänglich zu machen! Ich mache mir Sorgen um dein BIP. Deutschland, ich weiß doch du willst mich nur vor mir selbst beschützen… Deutschland, ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten: LKW-Fahrer hoch oben hinter den Vorhängen ihrer Kabinen scheinen unerreichbar… Deutschland, du willst doch gar nicht, dass die Dinge sich verbessern Über was sollen wir dann noch reden? Deutschland, ich weiß deine harte Schale hat einen weichen Kern! Kannst du dich nicht emotional weiterentwickeln, damit mein Vater mit mir über mehr reden kann als Sport und Politik? Deutschland, ich sehe dein Kennzeichen, ich weiß du kannst mich mitnehmen… Kassiererin an der Tanksäule Raucht aus, dreht sich um… Schüttelt sanft ihren Kopf … Deutschland, …wie viele Silben hat ein Haiku eigentlich? Deutschland, ich weiß, du hast es nicht so mit fremden Kulturen. Aber wenn das mit dem Klima sowieso nichts mehr wird, gib doch wenigstens jedem die Chance sich von seiner Umwelt zu entfremden, seinen Job zu hassen und sich fünfmal die Woche von fast food zu ernähren. Deutschland, ich ziehe durch deine Straßen, ich weiß du kannst mich hören… Deutschland… …Ich sitze einsam auf meinem Zimmer… …Ich masturbiere dreimal am Tag… Ich trage GRAS durch deine Städte! … aber am Bahnhof betatschst du trotzdem immer nur die selben paar PoC! Deutschland, jetzt stehe ich schon ganz schön lange hier. Samstagmorgen im Forst Acht PolizistInnen folgen mir wie Gänse ihrer Mutter. Deutschland, musst du immer so schlechte Berichterstattung über mich machen? Ich kann mich ja selber nicht ausstehen! Meine Fingerkuppen sind wund von Sekundenkleber und Glitzer, um von dir nicht erkannt zu werden Nachts weine ich in mein Kissen, wenn ich von deinem Pfefferspray wieder sentimental werde Deutschland, ich schreibe Haikus an deinen Autobahnraststätten, Ein paar Bäume dekorieren den Asphalt. …Auf dem Navi frisst der tickende Standort seinen Weg entlang der Karte. Deutschland, du weißt ich will mein Ziel doch gar nicht erreichen! Ich wünschte, diese Fahrt würde nie enden… Deutschland, ich wische das getrocknete Sperma von deinen Toiletten Ich verbringe mein Leben an deinen Supermarktkassen - und hoffe wenn ich mal nicht mehr bin ziehst du meine Stundenbilanz und legst einen Pfandbon auf mein Grab. Deutschland, meine Haikus wehen zerknittert durch deine Autobahnraststätten… Selig, die Straße wie rauschende Brandung! Selig, mein Daumen! Selig, die Taube! Sie schüttelt ihren Kopf. Selig dein Antrag, zurückgewiesen aufgrund von Rechtschreibfehlern! Selig, deine Kadaver von Hühnchen, geschüttet auf Westafrikas Agrarmarkt wie Konfetti in offene Wunden! Selig, sieben von 70 000 SchwarzfahrerInnen in deinen Gefängnissen!? Selig, erste Sonnenstrahlen! Gleißend einfallend durch die Fenster deiner Clubs, offenbarender als jedes Jüngste Gericht Selig, deine Schweine! Auf so engem Raum, übersäht von Zysten, nicht mal mehr tauglich für RTL II Selig die raue Hornhaut von Kinderhänden, geformt durch deine Kleider Selig die Stille nach dem Amen in der Kirche. Selig ich, dich so verachtend und doch ein Teil von dir.
Neue Welt
Avril Luis Diehl
Warning
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Alkohol |
Einfach die Betonfassade hochkrabbeln, Um über den Lichtern der Stadt auf dem Dach zu stehen Und dir die Seele aus dem Leib schreien. Einfach so lange ins Dunkle rennen, Bis deine Atemnot dich in die Knie zwingt. Einfach morgens einen Kaffee und Abends einen Schnaps, Damit du die Leere in dir nicht mehr spürst, Die dich wie ein Vakuum von Innen zerreisst. Ich war verloren und habe gesucht. Ich war ohnmächtig und habe gekämpft. Mir war kalt und ich war taub, Obwohl meine Gefühle in mir im Dreieck sprangen. Diese Welt ist scheiße! Sie macht dich wütend und krank. Sie bringt dich immer wieder dazu, Etwas zu tun, was du eigentlich nicht willst. Etwas zu sein, was du eigentlich nicht bist. Aber nein, nicht mit mir! Ich habe mir so lange eingeredet, Dass ich anpassungsfähig bin. Mich auf alles einlassen kann Und dafür hab ich mich sogar noch gefeiert. Aber nein, ich kann es nicht mehr. Und ich will es nicht mehr. Ich will mich nicht verstellen. Ich will mich nicht selbst unterdrücken. Ich will nicht wer sein, den ich selber hasse. Ich will wer sein, den ich selber mag. Und wenn ich das in dieser Welt nicht kann, Dann muss ich hier weg. Also bin ich wieder gerannt. Bin runter vom Dach, Mit 'nem Schnaps in der Hand. Lieblingsschuhe an und raus aus der Stadt! Wieder verloren und auf der Suche. Und *wuuuusssshhh* In eine andere Welt gestolpert. In eine bunte, grüne, freie Welt. In eine Welt, in der die Liebe größer ist, als der Hass. In der der Mut größer ist, als die Angst. In der es um Achtsamkeit geht und nicht um Ignoranz. Eine Welt in der Menschen Verantwortung übernehmen. Nicht aus Zwang, sondern weil sie an etwas glauben und dafür einstehen. In eine Welt, in der Menschen verspielt sind, Glücklich sind, lebendig sind. In der Menschen dafür kämpfen, Dass nicht nur sie, sondern alle Menschen Das tun können, was sie tun wollen Und das sein können, was sie sind. Ich bin in eine Welt gestolpert, Die mich aufgefangen hat. Mein lautes Schreien Wurde ein ruhig-wohliges Summen. Mein Davon-Rennen Wurde ein Tanzen mit anderen Menschen. Und meine schwache Hand, Die sich verzweifelt an eine Flasche Schnaps klammerte, Wurde zu einer starken Faust, die sich entschlossen in die Luft streckt. Es gibt eine andere Welt. Sie ist größer als du denkst. Und wenn du sie nicht finden kannst, Verdammt, schnapp dir ein paar Leute Und erfinde sie selbst!
Tagebucheintrag
-i
Diese Grube bewegt mich. Sie berührt etwas zutiefst zerstörerisches, ziehendes in mir, einen Sog hin zum Schmerz. Einem, der mich sprachlos macht und manchmal ohnmächtig. Rührt in mir eine Stille an, die nur ihm ein Echo bietet und nichts entgegenzusetzen weiß.
Was macht das in mir? Wie tief geht es und hinterlässt es nicht etwas? Oder findet es bloß etwas, das schon da ist?
Diese Fragen mag ich gar nicht beantworten.
Grau. Heller und dunkler werdende Töne mischen sich mit dem satten Ocker, welches der vorherige Regen noch intensiver strahlen lässt. Im Kontrast finden sich unzählbare Farben neben und untereinander, wie zahllose Stimmen der Grube - der Erde, die ihre eigenen Schicksale und Geschichten zu erzählen haben.
Schicht für Schicht ergeben sie doch ein großes Wirrwarr aus den großartigsten Mustern…es ist eine schrecklich schöne Faszination. Eigentlich unbeschreibbar.
Trotzdem will ich etwas davon fassen, was es in mir macht, wie es mich umklammert und greift, tief in mich hinein.
Draußen herum und in diesem menschengeformten Abgrund selbst, bewegen und tun sich vermeintlich nichtige und winzige Gestalten.
Selbst die Bagger wirken vor diesen Massen klein und fast unterwürfig. Den Erdmassen ins Gesicht schauend, zaudern sie aber kaum durch die Hebel, die das Schaufelrad zur Vernichtung anweisen.
Es ist eine riesige Ödnis, wie ein Grabmahl.
Unleben, altes, Vergangenes zeichnet eine Szenerie, in die wir uns einen gewaltsamen Einblick in die Erdgeschichte gegraben und angeeignet haben. Wir machen unser Leben, aller Leben zur öden Wüste, die uns alle beraubt…getragen durch Systeme, die unser aller Leben zu Nichtigkeiten machen, die zerstören und töten.
„Schrecklichkeit“ kann es nicht ausdrücken, kein Horror oder anderes Wort trifft, was hier sinnbildlich und tatsächlich vor unseren Augen passiert, in unseren Herzen und allen inneren Klangkörpern.
Diesem machtvollen Schallen können wir uns kaum entziehen - nicht wahr? Die Gewalt prasselt auf uns ein, liegt dadurch auch in allen von uns und lähmt…so sehr - und kann trotzdem nicht alleine dastehen. Wir haben viel zu geben und zu klingen, Töne, die alles andere übertönen - aus Notwendigkeit und Lebensdrang, dem Mut, mehr zu fühlen, als das, was uns gegeben wird. Das, was „erlaubt“ ist.
Die ungeschriebenen und geschriebenen Gesetze und Normen der sog. Gesellschaft. Nunja. Dann schaffen wir uns die alternativen Welten, die wir brauchen, eben keine Matrix mehr. Wir werden es stets versuchen.
On being in between
Nacara
What’s it like living in Lützi?
I could tell you about the joy of finding hot porridge in the Küfa on a snowy morning, about the beauty of showing a new friend the dance of the skylark high above the fields, about the coziness of a campfire discovered by accident during a cold night.
It would all be true.
As a person fairly new to activism in general, and entirely new to the wonderfull world of occupations, I’m utterly impressed by the microsociety that is Lützerath. I couldn’t imagine a better starting point to this new life, a life that isn’t always easy and comes with its own particular difficulties and dangers. And what better moment to talk about the trials and tribulations of the occupation life than while laying in bed in my room in the Paula suffering from Norovirus during the first heatwave of the year? I want to write about one of the things I sometimes struggle with, and while I cannot speak for other people, I conclude from my conversations with other Lützi passersby and inhabitants, that i’m not the only one: the feeling of being in between worlds, of floating between a burgi past with a fixed future and an anarchist here and now without clear anchor points.
Becoming a (climate) activist is a profoundly alienating experience. You are painfully aware of the world going to shit, so much that it becomes impossible to function “normally”. Every time I had to go buy something in the supermarket, I felt the burden of participating in a system of which I saw so clearly the flaws. But the other people in this hells cape of capitalist consumerism seemed to go about their day unbothered. Some of my friends flat out said they didn’t care, or that they didn’t see the point in caring. There you are, unable to talk with your childhood friends, the people you used to share everything with, about what keeps you up at night, the thing that haunts you in every vision of the future you try to craft. I don’t blame them, and I also don’t pretend to be a better person because climate change makes me depressed. But it is undeniable that it is hard to communicate with people who see the problem of climate change as not that big of a deal when your resistance against it has become such a defining part of your daily life. It creates an unbridgeable divide between me and the people I still love, but seem to live in another dimension.
Living in Lützi made this problem only worse, of course. My choice (to what extent was it a choice?) to move into Lützi played a significant role in the death of my last romantic relationship. Our worlds floated apart too much. I became disinterested in the small preoccupations of his everyday city life, what used to be our everyday city life. High on the feeling of revolt provided by finally finding a place inhabited by people who want to, really, profoundly, change the world, I saw myself too much as a grand revolutionary and reproached him (unfairly) to see activism only as a hobby. For him it must have been bizarre and hard to see someone who up until some months ago just wanted to have a nice apartment in Brussels and adopt a dog turn into an insufferable killjoy of an anarcho climate activist. To the people of my old life, I became "one of those people living in a forest”. I make myself no illusions about the image they have of Lützerath, no matter how often I say that we do take showers, that there’s free cake, and that we even have a swimming pool.
I’m framing my arrival in Lützi here in the perspective of loss, of disconnect with a past I pretend to have put behind me. Don’t get me wrong, moving to Lützi was the best decision I could have made. What I mostly find in Lützerath is hope. I’ve met so many incredible people I could’ve never dreamed of meeting. The loss of stability provides an opportunity for reimagining one’s future, which gives the feeling of finally being able to break free from the paths set out from birth. And when I chill in the meadow behind the halls on a sunny afternoon, when I scrape burned rice from the bottom of a pot, when I get my sixth coffee of the day at MaWa, I sometimes get this overwhelming feeling of freedom and happiness, the feeling of being where i have to be.
But sometimes I feel like there is not enough space for grieving the life one leaves behind, the small, banal, unimportant sacrifices we make, like not being able to go to the cinema or get falafel at 3 AM. I’m in a transitional phase, moving from one world to another, and transitional phases are always characterized by loss. I have to let go of the things I thought I wanted for my own future, unbecome the fixed identities I have comfortably and safely inhabited until now.
Being in a transitional phase also implies that I often don’t entirely feel part of the Lützi universe, although the outside world categorizes me in the, in their eyes, homogenous group of crusty occupation anarchists. I don’t belong (yet) to the people who seem to know what they are doing, who have tons of experience (and a criminal record), who climb trees like it’s nothing and have a knot for every specific situation. And while I want to learn everything they know and I consider myself as living in Lützerath, I often can’t shake the feeling of not being enough, not of the grid enough, not knowledgeable enough, not vegan enough, not committed enough to the cause. I always carefully keep a foot between the door, a possible way to sneak out, although I know that going back and picking up the life I left is not an option.
In literary studies, we have a beautiful word for being in between two worlds, having irrevocably left one but not quite being part of another: paratopia. I described this feeling in the beginning of my text as a struggle, a difficulty. And it’s true that I often perceive it like that, because there is a special kind of loneliness that comes with the feeling of lacking belonging. But what if instead of fighting or feeling uncomfortable about being in this in-between space I try to embrace this position? Although living in Lützi often makes me feel small and profoundly stupid (if I have to ask one more time how to do a spierenstich, i will go hide in shame in the fridge we just dug next to the küfa), I have never found a place where I felt more at home. Maybe home doesn’t have to be a place that makes you feel entirely comfortable, especially not from an activist point of view. I can learn how to enjoy the feeling of paratopia, a state of being that is, in the end, so profoundly human. I can occasionally look over my shoulder to what I’ve left behind without regret and look forward to a still largely unexplored world where I might feel valid one day. And what better place to learn how to navigate the space of unbelonging and unbecoming than surrounded by people who are also searching, changing plans, stumbling, leaving, catching the stomach flu, what better place than our beloved Lützerath?
Willkommen Zuhause
- Upsi
Auf dem Rückweg vom Feld hält ein fetter SUV neben mir und lässt sein Fenster runterfahren. "Was macht ihr eigentlich noch hier?" fragt ein älterer Mann unvermittelt und wenig freundlich.
"Hier wohnt doch keiner mehr, die sind doch alle weg."
Viele von uns haben bestimmt ähnliche Erfahrungen gemacht und insgesamt tobte eine größere Schlacht um den Heimat Begriff, der sich von der nationalen medialen Öffentlichkeit, bis hin zu dem Verhältnis von Alle Dörfer Bleiben und Lützerath Lebt gezogen hat. Heimat ist für viele mit Herkunft oder Familie verbunden und liegt für die meisten irgendwie in der Kindheit. Heimat ist dementsprechend etwas was verloren geht oder etwas was versucht werden kann zu erhalten. Aktivisti können also dementsprechend keine richtigen Bewohner*innen von Lützi sein und dürfen sich damit nicht zuhause fühlen, und keine Heimat in Lützi besitzen. Von diesem Verständnis geht etwas Urkonsvervatives aus und es ist kein Wunder das Heimat vor allem von rechten zur Mobilisation benutzt wird.
Im Gegensatz zu diesem konservativen Verständnis glaube ich, Lützerath war/ist Heimat, gerade für uns Aktivisti. Die meisten Menschen die ich kennenlernte kamen immer wieder oder blieben ganz und dass nicht wegen einer müßigen, selbstauferlegten politischen Selbstverpflichtung, sondern mit großer Vorfreude, machten sich aktiv von Verpflichtungen frei und nahmen hunderte Kilometer Fahrtweg in Kauf.
Ernst Bloch (1885-1977) wollte diesem konservativen einen progressiven Heimatbegriff gegenüberstellen. Heimat ist für ihn der Kampf um eine bessere Welt voller Freiheit und Möglichkeiten. Einer Welt also ohne Gewalt, die einen zwingt seine Lebenszeit zu verschwenden, um irgendwelche sinnlosen Dinge für andere Menschen zu machen, nur um überleben zu können. Eine Welt in der jeder Mensch die reale Möglichkeit vorfindet, so zu leben wie es möchte, egal mit welchem Geschlecht, Hautfarbe und welchen Eltern mensch auf die Welt gekommen ist.
Die Suche nach Heimat ist für Bloch angetrieben von einem "Hunger nach einem erfüllten Leben" (Bloch Bd. 5, 1194 zit. nach ebd., S.179) und das bringt er wie folgt auf den Punkt: "Hat [der Mensch] sich erfasst und das Seine ohne (…) Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat" (Bloch Bd.5, 1628. zit. nach ebd., S.176).
Ein wichtiger Unterschied zum konservativen Heimatbegriff ist das Heimat "kein geographisch lokalisierbares, statisches Ziel [ist], sondern ein fortdauernder Annäherungsprozess, der stetig neue Heimatprojektionen und Handlungsantriebe entwickelt" (Koch 2012, 168) – Heimat ist also nicht zuletzt der Kampf um die bessere Welt selbst.
Auch wenn Bloch bestimmt etwas anderes vor Augen hatte als Lützerath, ist Lützerath in diesem Sinn ein Projekt zu Schaffung von Heimat: Das kreative, schöpferische, widerständige und gemeinsame Arbeiten an der Realisierung der Möglichkeiten auf eine bessere Welt. Die Welt trägt das Potenzial Heimat schon in sich, es liegt aber an uns sie hervorzubringen.
Lützi war nicht perfekt und war immer ein Prozess, mit Sackgassen, Konflikten und Problemen, die nicht zuletzt davon hervorgerufen wurden, dass die Voraussetzung für diesen Ort - die Existenz selber - trotz unserer Verteidigung, nur begrenzt in unseren Händen lag. Aber wer in Lützerath war, wird diese Energie, den Drang nach einem besseren Leben gespürt haben und nicht zuletzt: Heimat. Etwas das den Menschen vielleicht gar nicht bewusst war, dass es ihnen fehlte, aber das sie danach vermissen werden.
Wenn euch also das nächste Mal eine Person erzählt, in Lützi hätte doch gar keine Person mehr gewohnt dann, antwortet doch einmal mit der Gegenfrage, warum das Einwohnermeldeamt entscheiden sollte, ab wann mensch dort zuhause ist. Zuhause oder Heimat ist nicht die Schlange beim Bürgeramt. Zuhause ist nicht zuletzt die Praxis die getragen wird von der Hoffnung auf eine bessere Welt.
Literatur: Koch, Gerd 2012, Heimat, in hrsg. Dietschy, Beat; Zeilinger, Doris; Zimmermann, Rainer E.; Bloch-Wörterbuch. Leitbegriffe der Philosophie Ernst Blochs. Berlin/ Boston
This land belongs to the meadow, or: Eulogy for the living utopia of Lützerath
- anarcholatina
Warning
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eviction scene, police violence, destruction of nature |
For some two-and-a-half years, activists occupied the old German village of Lützerath to prevent the expansion of a brown coal mine, Garzweiller II, owned by the RWE megacorp. Nature defenders made of Lützerath a prefigurative space, a living example of what a better world could be, until the brutal eviction of 2023. I’m writing as their machines still finish their job of destruction, because I want to talk of Lützerath: his life, his people, his politics. The village of Lüetzerath, among woods and farms, standing at the edge of a cliff as if an island over nothing. All around it, the enourmous crater of the coal mine.
1. Life
It is physically painful for me to watch the baggers — those giant skeleton ships from hell, made of steel and death — literally eating away the Earth, chunk by chunk, when I know of the rich diversity of insect life who thrives on the wildflower patch activists maintain; when I spot the holes for bird nests in the clay; when comrade hare darts in the floodlights between our barricades and the cops, jumping back and forth for reasons of her own; when the trees who so loved us are fallen, one by one, sending the larks flying into the night.
I look at reddit and the top voted comment says that people are too emotional about Lützerath and we should look at facts and logic and that the coal is necessary in case of emergencies and that the ‘empty’ village is purely symbolic and that the activists shouldn’t hurt themselves or others because the land is, and I quote, not worth it.
I would gladly saw off my own arm to stop this senseless murder. Alas, the option is not given.
We once found a crashed crow in Lützerath. I thought he was dead, but upon covering him with a soft blanket, his head moved very slowly. We ran across the camping fields to ask help from the other squatters; a bunch of masked antifa girls told us that they’d call for specialists but first let him drink water, a lot of birds are collapsing out of heat exhaustion. By the time we made it back to our shack, someone had put birdseed and water next to the blanket, and the crow had flown away.
Earthworms are down in the UK 33% this year. I feel like people are underestimating what this means, what the soil life means for plants and, consequently, us. The ocean has never been that hot, reaching another record on the week of the eviction. Lützi has enough coal under it to blow over Germany’s 1,5°C commitment six times over, and it is “purely symbolic”.
The first time I ever stepped in Lützerath, the first thing I saw was ladybugs mating on the leaf of lavender. I wrote on a barrier:
This land belongs to meadowbees wildflowers trees the crow nameless little bugs birds butterflies
For all the good that my writing did. I watched my friends murdered before my eyes. I cried, again and again facing the police, and not due to the torture holds.
I haven’t seen a single mainstream media talk of non-human lives in Lützerath. The hare doesn’t get a vote on coal mining, the earthworms are not accounted for in the spreadsheets. You killed my friends and I will never forget this.
2. People
I became an anarchist from books, from studying politics and history and realising that only in an anarchist society would a weird queer like me be safe and allowed to thrive. I was already convinced of this, by the historical example of, well, literally any government ever, including the so-called ‘communist’ ones (especially those ones). But Lützerath brought the fire of anarchy to life, seared the experience into my flesh & bones.
Everyone who lived in Lützi, however briefly, will talk to you about it with a spark in their eyes, struggle for words, ‘you had to be there’, ‘it was something special’. A few hundred people and we built a working collective kitchen churning out 3 delicious meals a day; a pirate radio; 24/7 vigils before the baggers; a restoration for a mysterious ancient shrine in the woods, maintained daily; periodic large-scale events and festivals and protests, bringing ecological defenders from Mexico, from Africa, South America; fields of vegetables and healing herbs; a vigil of plushies; the fucking heroic Shit Brigade maintaining the best separation toilets I’ve ever had the pleasure to use; an anti-racist library; permanent workshops of all sorts of practical skills — many people have described life in Lützi as something like what a university should be, we learned so much in so little time; awareness groups and safe spaces for neurodiverse people, BIPoC, queer, women, accommodations for wheelchair occupiers; a skilled medic team; a savvy media team; an antifa skateboarding training hall which is probably the raddest thing I’ve ever seen; collective housing of all sorts, from camping hills to tree houses to wooden cabins to large, abandoned industrial buildings turned into beautiful queerfeminist spaces, filled with life and art and joy ——
All for free. Everything for everyone.
At any moment in time you (whoever ‘you’ might be) could join in by simply walking into the woods. No rent, no fees. Stop by the watch for (free) hot coffee, walk by the trees towards the infopoint; there’s a board with the days’ activities, always full. 18:00 is the on-boarding. You have time to kill so you wander by, there’s a small kitchen with (free) bread and (free) vegan spreads, you help yourself. As you eat you meet three activists from Spain, they’re staying long-term, you discuss political projects and somehow it seems that here it matters, that something is happening. Someone comes running from the road, shouts: ‘mic check!’ Everyone within hearing distance echoes in full voice: ‘mic check!’ ‘The collective kitchen needs’, the messenger continues, and everyone repeats, amplifying their voice: ‘The collective kitchen needs’, ‘3 people’, ‘3 people’, ‘to help carry boxes’, ‘to help carry boxes’. You find yourself going there.
No one ever tells you what to do, no one tries to coerce, manipulate or guilt-trip you into being a productive worker, no one conditions your shelter or sustenance on labour, everybody talks things over together in assemblies, and together we build a good place to live in, a life worth living. Lützerath was a pearl of the German autonomist tradition.
And then you walk across the dirt road and it’s the baggers and the coal mine, a literal crater on Earth, a wound extending as far as you can see, giant machines digging away towards you and your friends. Lützerath wasn’t purely symbolic, but it was one hell of a symbol. What a contrast. What a world that we could have and a world they impose onto us. If this was a movie it’d be called melodramatic, unrealistic. In Lützerath you could watch the global ecocide in a metonimic diorama of itself. I would often go to Skywalk, the observation platform, and watch the baggers. Just stay there, watching the destruction. I felt like someone should bear witness to death if nothing else. Others felt like me. I was never lonely in Lützerath.
I cry for Lützerath, not just because of my dead friends from the Earth, not just because of the sadness of my human friends, not just because this coal will kill many more, but because I selfishly wanted to live there forever because that place was the closest I ever got to experience community, which in the 21st century felt like utopia, and now I’m thrown back into capitalism and nothing you can do in capitalism will buy me that.
Everyone who’s ever been in Lützi and made it what it is, thank you. When you watch the scenes of the cops putting down our buildings, when you watch their glee, their mockery when they seize and make use of our spaces and structures, keep this in mind: The reason they hate you is that you have proved cops to be unnecessary. For two beautiful years we lived with no rulers and no enforcers, no elected representatives and no ‘community leaders’, and we lived better without them than we ever did under them. You have found the one weird secret that parties and authorities don’t want you to know; you have tasted the secret of freedom, and the taste lingers in your mouth.
The enemy would all the time invade with their helicopters and tanks and they would blow up our schools, our houses, our headquarters, and the media would say, Zapatistas defeated! The Zapatista rebellion is over!’ — and I want you to imagine him saying this and meaning every word, standing in the dark woods, voice trembling with emotion: ‘But every time we would go back into the pueblos and hide with the people and then we would come back again, because la rebelión is not in the buildings. La rebelión is in our hearts.
3. Politics
Lützerath represents for me the complete failure of the politics of activism.
Two years of the most organised campaign I’ve ever seen. Large-scale demonstrations were routine, we had 35 thousand in the counter-eviction demo, Greta Thunberg came along. International media, statements of support from every continent. Scientist Rebellion on our side, a petition by 700 specialists on how this coal is neither desirable nor necessary, detailed studies on the topic all agreeing. All the diversity of tactics you can imagine, lock-ins and glue-ons, people in tripods and monopods staying awake day and night with police lights blasting on their face, people hiding in tunnels, arm-by-arm-blockades, an ex-cop quoting to cops on how to be a conscientious objector, elderly people, wheelchair users trying to reason, sabotage of pumps, barricades deep into the earth and covering every road. Greenpeace, Last Generation, Ende Gelände, Fridays for Future, XR, anarchists, communists, antifas, random libs, old hippies, pacifists, militants, Hambi veterans, preteens concerned about the future and retired couples concerned about their grandkids. Frankly masterful design work, large outdoor signs detailing the ecological situation with maps and infographs and citations, an iconic, memorable and self-explanatory visual language (that yellow X barrier can be made into an outfit in 10 seconds with adhesive tape), propaganda movies with high production values, with humour and empathy and vibrant with energy. The Christians restored the mysterious forest shrine, maintained it daily, brought up a cross styled in the yellow X of the movement (blessed by the Pope, carried in pilgrimage), an elderly Christian lady slept outdoors at the shrine on the day of the eviction (sub-zero temperatures, winter rain, windstorm). A cause that enjoys more popular support than anarchism or socialism. A particularly egregious example of that cause — there is no reason to burn this brown coal, none, nothing, it isn’t even profitable anymore, it’s the worst type of lignite that will cost millions and take a long time to even purify into something usable, at a huge pollution collateral, with investments that would generate more money on fucking wind power, let alone the mass death it causes, a senseless destruction of villages dating from the 1100s along with the biosphere of the entire planet for no other reason than sunken costs of a few shareholders, very obviously nothing more than that. A legalist argument was dug up — turns out the company doesn’t even own all the land yet, they have failed to coerce some farmers into selling even now, the digging is technically illegal. Highly motivated activists ready for anything, my mates chained arms with me, spitting at the surrender offers from the cops, making improv privacy walls with safety blankets to piss in buckets, dragged one by one with torture holds and blows to the head and chokes and pepper spray, everyone chanting revolutionary songs softly. And the Green Party in power, elected enthusiastically by voters who did it specifically to stop the burning of coal.
All that, and the cops sent by the Green Party government steamrolled right through us, breaking bones as casually as the baggers break the soil food web. To protect the profits. Of a private company. By digging the land to mine brown coal.
There is a particular kind of gaslighting nausea when your joints are still aching from what the cops did to you, and you read social media comments praising the cops for their professional behaviour and restraint. The destruction of Lützerath is as blatantly evil as evil gets, and it nonetheless got polarised instantly, like everything does these days. Lützi people being randomly bashed in the head by cops have shown downright heroic commitment to passive resistance, yet we were being called violent rioter extremists who should be gassed and executed due to our… burning barricades.
Do not make the mistake of believing that if you play by the rules you won’t be oppressed, criminalised, or beaten. They will change the rules to get you if they have to. The people who will hate you if you break the rules, already hate you no matter what you do. And the enforcers of the rules don’t have to play by the rules.
Many people tried to reason with the cops. We’re doing this for your children! Your mother is ashamed of you! You can stop, you know there’s a system to reject participation in operations you deem unethical? I’m a 65-year-old teacher, I had to take vacations from school to be here, look at which side you’re on!
The cops could not be reasoned with.
The cops took selfies relaxing in our structures, posing with everything they stole from us or smashed to pieces, pointedly lampshading their glee. “Don’t you have a family?”, someone shouted while being dragged away, and exceptionally, a cop actually answered, right after shoving her to the ground: “No.”
I usually stand at the frontline, and at one point I tried looking a riot cop straight into the eye. It was impossible. His eyes flickered constantly, moving into all directions, trying to take it all in, one hand on his gun another hand on his big stick. He wore in his face panic, or fury, or both. All he saw was enemies, a whole horizon swarming with enemies, all he waited for was a pretext.
We got messages of support from our comrades in Chiapas, in Rojava, in Ukraine, in the Amazon. But I cannot help but feel like we’re playing games here. In Chiapas, in Rojava, in Ukraine, in the Amazon people are defending territory against the enemy. Here we deliberately put our bodies in vulnerable positions before our enemies, hoping that, hoping that what? someone, somewhere does something? The government takes a stand against the obscenely wealthy company who owns the whole lobbyst sector? The Board of Directors is moved by the scenes of bravery and, touched deep in their hearts, calls off the baggers?
We lie down before our bullies like toddlers in a tantrum, point fingers, call out: This is bad! They’re breaking everything! They’re hurting us! But we’re long past the point where calling out will do anything.
I don’t know how to organise active resistance here in the EU, in the heart of the beast, to protect the patches of nature that are left. I don’t know what shape of resistance would be tactical here. But to those who think that the armies of rich countries are unbeatable, I will remind that the Taliban defeated the U.S. army and are we really less committed to justice than the Taliban is to patriarchy? I do not know what shape of resistance would be tactical here, but I know it will involve things like in Chiapas, like in Rojava, like in Ukraine, like in the Amazon.
An activist’s enemies then are the particular set of abstract bad things they endeavour to set aright and their opponents are fellows who merely happen to be on the wrong side of the issue. By comparison, an insurgent’s enemies are never abstract, but rather discrete entities of flesh, stone, or steel, from bodies to buildings, which at a specific time and place obstruct their interests.
Which is to say, the people who are doing this to the land and to us are physical people of flesh and blood, who have names and addresses.
Two Paths
There are two paths. The end of the world. Or the beginning of the next.
We are all under pressure to submit to the dominator culture starting at our birth. "Shut up and take your place in the capitalist system." they say. Racism, sexism, and police violence are all in place to make you feel powerless, alone, and to make sure you don’t even think about demanding whats rightfully yours. A joyful life for everybody.
But still, even with all this pressure you said "No more!". You listened to the feeling inside, that this can’t be it. To the desire for authentic relationships and a meaningful life. You will not accept the path they have laid out for us. You see the blurred outline of a potential future of autonomy, freedom, and ecology on the horizon. The insurrection takes place in our heads. You are becoming ungovernable.
Now, you may want to act on this thought, but as you look around, frustrated at the sight of everyones heads bowed and minding their own business, you wonder whether you are the only one that feels this way. Where are all the others? How do we find each other? This is the first steps many of us also took on our journey into the resistance.
With Luetzi we have created another place where we can come together over the resistance. Of course, we are here against the expansion of the coal mine. However, much more than just that is happening. We have found each other. It’s no utopia but together we are deconstructing the mental programming forced on us. Together we are relearning how to live in community. Together we are building a movement. Together we are saying "No more!".
Together towards path b. Join us.
Lützerath
Unser aller Lützerath, wir denken jeden Tag an Dich, Oh, Lützerath… Die Erinnerung, die macht schon Freude, Es geht weiter, Hier und Heute, Lützerath… Der Kohlgeruch hängt in der Luft , was für ein vertrauter Duft, Lützerath… Hafermilch in meiner Tasse, hier ist’s schön, einfach nur Klasse, Lützerath..v Zusammenleben in Gemeinschaft, nicht anzunehmen das dies Scheitert, Lützerath.. Doch der Staat, der will uns unten sehen, kann die Art zu Leben, nicht verstehen, Lützerath… Staat und Cops, räumten den Ort, alles Weg, alle nun fort,.. Lützerath.. Wir wollen das Es weiterlebt, weil es Ohne gar nicht geht, ja Lützerath… Das Thema, Für Die, schnell gegessen, doch werden dich Nie vergessen, unser aller Lützerath… Doch der Geist wird weiterleben, es ist Das, wonach wir Streben, Lützerath.. Unser aller Lützerath, wir denken jeden Tag an Dich, Oh,Lützerath… Die Erinnerungen machen Freude, es geht weiter, Hier und Heute, Lützerath.
Ich mag kein Schnee
Du wünschtest dir rosaroten Himmel Doch wir schliefen unter schwarzem Schimmel Du fragtest nach Blumen, Amor, Kuchen und Wein, doch wir mussten nach Holz suchen Kalte Füße, keine Matte Zeckenstich, Mücken, Rattenschar Vertrau mir, sgeht alles klar: Wir sind nicht aus Zuckerwatte! Hornissen war‘n doof und war‘n laut Technisch kreisend vor Donnerschlag Ich hoff‘ du magst es wie ichs mag Kopfkissen aus Moos und Farnkraut Du wünschtest dir rosaroten Himmel Doch wir schliefen unter schwarzem Schimmel Du fragtest nach Blumen, Amor, Kuchen und Wein, doch wir mussten nach Holz suchen Ja stimmt es fängt an zu regnen Vielleicht kommt ein Regenbogen Und die Landschaft, ungelogen Wirst sowas nicht oft begegnen! Diese Schwere auf den Schultern verwischt Alltagssorgen denn du wirst sie vergessen wenn wir den Hang hinunterpoltern Dein Klettern war großartig. Erschöpft, verstört, Sohlenschmerzen, empört, Angst - Spaß ohne Grenzen: Meckern ist da bloß klaglich. Weglaufen, raufen, Kreislauf Zwischen Schrecken und Gendarmen im Heu schlafen auf den Armen Abenteuerlust wacht auf Du wünschtest dir rosaroten Himmel Doch wir schliefen unter schwarzem Schimmel Du fragtest nach Blumen, Amor, Kuchen und Wein, doch wir mussten nach Holz suchen
Die Geschichte hinter dem Haus der Unbekannten
Warning
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Rassismus, Gewalt, S3LbStM0Rd |
Plenum. Zu dieser Zeit gab es viele… was teilweise super war, aber teilweise auch traurige Anlässe zugrunde hatte. So gab es zu dieser Zeit einen schwierigen Awareness-Prozess wegen eines rassistischen Vorfalls. Und es gab viele kräftezehrende Prozesse um diesen Vorfall, so wurde nicht nur über der Vorfall an sich gesprochen, sondern auch über das Grundproblem - Whitelocks. Vor allem aber hat mich die Wut der Betroffenen erschüttert. Auch wenn solche Vorfälle leider immer wieder passieren und die meisten Menschen nicht überrascht hat. Aber darum soll es in diesem Text nicht gehen, ob wohl wir uns mehr, jeden Tag eine kleines Stück, mit Rassismus auseinandersetzen sollten. Und somit diesen Prozess jeden Tage weiter führen müssen.
Es war also Plenum. Nach den ersten Nächten, ein wenig Aufregung mit einigen Wannen die in einer der ersten Nächte der Besetzung aufgetaucht sind und einfachen Strukturellen Plena, nun das erste wichtige Plenum. Es war einige Tage her das wir das leerstehende Haus Lützerath 13 besetzt hatten, der frische November Wind zog durch das Dorf, die Tage wurden immer kürzer, es war tiefster Herbst. Wir hatten also einige Gründe uns einen beheitzbaren Ort mit festen Wänden und Dach zu bewohnen. Und an diesem Abend diskutierten wir das erste mal über einen Namen für das Haus. Einige Menschen hatte sich in den Tage zuvor schon einige Gedanken zum Namen und einem möglichem Konzept gemacht. So gab es die Idee das Haus nach einer bestimmten Person zu benennen und die Geschichte dieser Person so präsenter zu machen. Oder auch einfach ein Quatschname wie einige Bäumhäuser in ZAD einen haben – Welcome to Kuschelzitadelle? Ein Vorschlag war unter anderem Semra Ertan. Semra war ein Kind von türkischen Migrantinnen, sie hat sich sehr antirassistisch engagiert und insbesondere viele Gedichte zum Thema Antirassismus und Sachen geschrieben die ihr widerfahren sind. Semra Ertan war einer unserer Favoriten als Name für das Haus. Jedoch kam einem Menschen dann die Idee das Konzept noch auszuweiten und nachdem wir uns gemeinsam das Lied ‚An alle meine Unbekannten‘ von ‚Arbeitstitel Tortenschlacht‘ gemeinsam angehört hatte und dieser uns total gefesselt hat und heute noch tut, waren wir davon inspiriert das Haus all denen zu widmen die nicht mehr mit uns kämpfen können oder deren Kämpfe vergessen wurden, weil sie im Knast sitzen oder ihre Geschichten nicht mehr weitergegeben werden. Wir sahen uns dabei nie als Sprachrohr für Unterdrückte Menschen, sondern wollten stets nur Kämpfen, die Menschen oft nicht kennen, eine Bühne bieten. So war sehr schnell klar, dass wir uns entschieden das Haus an der Lützerath 13 das Haus der Unbekannten zu nennen. Teil des Namens ist auch das Konzept an Menschen zu Gedenken als politsche Arbeit. Und so Geschichten von Mensch weitergeben die insbesondere durch Rassismus, Sexismus und Klassismus unterdrückt wurden oder immer noch werden. Wir haben leider nicht so viele Cafés geschafft wie wir wollten, sind aber gerade wieder bemüht mehr Kraft in diese Arbeit zu stecken. Schickt uns gerne Vorschläge worüber wir ein Cafè machen sollen an: hausderunbekannten@riseup.net
Seit dem ist viel passiert, Menschen kamen ins Haus und einige verließen uns auch wieder. Das Haus schmückten immer wieder einige Banner die an Menschen erinnerten. Wir haben es geschafft einige Cafés zu organisieren, sind dabei mit Menschen über das jeweilige Thema ins Gespräch gekommen und konnten einige neue Aspekte in die Gespräche in der ZAD Rheinland bringen. Und natürlich gab es auch immer leckeren veganen Kuchen, Kaffee und Tee. Doch die Geschichte des Haus der Unbekannten ist noch lange nicht zu Ende, wir haben noch viel Arbeit vor uns. Das Haus ist für viele Menschen ihr Zuhause geworden. Wir werden nicht im Herbst verschwinden um RWE unseren Erinerungsort zerstören zu lassen. Es gibt noch viele Geschichten die wir erzählen wollen!
HDU – ¡No pasaran!
Tip
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Mehr zu Semra kannst du auf der Website: https://hausderunbekannten.blackblogs.org nachlesen |
Wie wir in 6 Minuten ein Haus mit 55 Zimmer besetzten
Es war ein kalter Januarabend, genauer gesagt der Abend des 6. Januars 2022. Ein paar Menschen trafen sich nach dem Abendessen am Lagerfeuer. Mit vollem Bauch und der Wärme der ersten Glut, die uns anstrahlte, berichteten ein paar Leute von der Idee, welche schon länger in unsern Köpfen hing. Es ging um den von Security’s immer noch bewachten „Pesch Hof“ (Lützerath 5 & 6) im Süd-Westen des Dorfes. Ein riesiges Gebäude mit einer noch größeren Fläche und einigen Hallen am Hinterhof.
Die Familie, welche in dem Hof gewohnt hat ist im Spätsommer 2021 gegangen und seit dem bewachten bis zu 50 Security’s das Gebäude und die Anlage daran. Mehrheitlich marginalisiert Menschen wie zum Beispiel Geflüchtete oder andere von Rassismus Betroffene mussten dort sich Tag und Nacht die Beine in den Bauch stehen. In der Regel war das Verhältnis zu den Security’s entspannt, hin und wieder konnten Menschen mit einigen der Security’s gut reden und immer wieder erfuhren wir so einige interessante Dinge. Überraschung: als marginalisierte Person bei/für RWE arbeiten ist scheiße!
Motiviert von der Besetzung des Haus der Unbekannten (Lützerath 13), der Lützerath ‚4c‘ und den vielen Leuten die zum Aktionstag am 8. Januar herkommen würden, waren wir alle schnell überzeugt nun endlich auch den „Pesch Hof“ zu besetzen. Es wurde also Ideen ausgetauscht und Pläne geschmiedet. Am Ende des Abends stand für uns fest: Samstagmittag ist der Pesch Hof in unserer Hand! So wurden 2 weitere Treffen am nächsten Tag angesetzt, um weitere Details abzusprechen und die restlichen Vorbereitungen zu treffen. Einer der wichtigsten Punkte bei der Planung der Besetzung war, dass diese explizit als FLINTA* Aktion ausgerufen wurde und als Empowerment dienen sollte. Das hatte viele Gründe, der größte war aber wohl, das wenige Tage zuvor ein großer sexistischer Vorfall im Dorf bekannt wurde und dadurch ein starkes Empowerment von FLINTA*s in der ZAD Rheinland statt gefunden hat und der Zusammenhalt unter FLINTA*s dadurch enorm zugenommen hat.
Menschen verteilten dann zum Abendessen am 7. Januar kleine Mobizettel die zu einer Aktion und einem Treffpunkt mit Zeit aufriefen: 8. Januar - 12:30 Phantasialand. Am Treffpunkt angekommen organisierten einige Menschen die eintreffenden motivierten Aktivist*innen in Finger. Immer wieder geisterte die Fragen durch die Gruppen was wir denn nun machen, wo es hin geht und ob sie noch Sachen brauchen um zu übernachten oder ähnliches. Viele Dachten wohl es wäre eine Art Ende Gelände Aktion und wir würden zur Grube gehen. Die Leute konnten aber beruhigt werden und formierten sich langsam. Aber diese besondere Stimmung lag weiter in die Luft und motivierte uns. Wir waren uns trotz der, für die Größe der spontanen Aktion, geringen Vorbereitung und den dadurch aufkommenden Unsicherheiten sicher, dass nun nichts mehr schief gehen kann.
Derweil machten sich die Menschen die auf das Dach des Gebäude klettern wollten hinter der, auch besetzten, Lützerath 4c bereit. Als es dann los ging kletterten diese Menschen dann von Dach zu Dach, bis sie das Dach auf dem Hauptgebäude in Beschlag nahmen.
Eine kleine Gruppe bewegte sich bei beginn der Aktion ganz offen und erkennbar friedlich auf die Securtiy’s im hinteren Hof des Geländes zu. Und gingen mit diesen ins Gespräch und teilten ihnen mit, dass wir ihnen nicht feindlich gegenüber stehen und nichts antun wollen, wir aber jetzt diesen Hof und dieses Gebäude besetzen und sie eingeladen sind zu gehen.
Bevor die Security’s darauf irgendwie regieren konnten kamen schon die zwei Finger vom Phantasia Land aus verschiedenen Richtungen auf das Gelände, liefen problemlos an den wenigen Security’s vorbei in den Innenhof. Dabei hatten sie zwei mobile Tripods dabei, welche sie schnell aufgestellt und besetzt hatten. Nach genau 6 Minuten öffneten sich dann die Tore des Gebäudes und die Besetzung war vollendet.
Alle jubelten sich zu, es strömten Menschen aus den Toren des Hof’s raus, anderen gingen rein, alle feierten. Derweil standen die „Kommunikationscops“ genau neben dem „Pesch Hof“ und wussten nichts von all dem was vor sich geht. Als dann das Tor des Hofs aufging vielen ihnen Augen aus dem Kopf, ein wunderbarer Anblick – gerne mehr davon. Als diese dann in den Innenhof wollten gab es eine kleine Rangelei mit den Cops, aber die Situation entspannte sich schnell.
So wurde mit den Security’s derweil abgesprochen, dass sie all ihren Kram aus den Gebäuden holen können und sich zu den Hallen zurückziehen. Diese waren nämlich besorgt, dass sie jetzt ihre Jobs verlieren, wenn nun auch das letzte Haus in Lützerath besetzt ist. Da wir den Security’s nicht schaden wollten und ihre Situation verstehen können haben wir also einige Tage auf dem gleichen Gelände nebeneinander gelebt und es war so entspannt wie nie. Nach einigen Tagen hat RWE aber alle Security’s nach und nach aus Lützerath abgezogen und das Dorf ist seit dem komplett in unserer Hand. Wir hoffen es geht euch gut und ihr kommt durch!
So wurden dann auch alle im Dorf Hallen eingenommen und werden seit dem für verschiedenste Aktivitäten genutzt und dienen auch als Kunstfläche oder Skateboardpark. Nach einigen Tagen war klar, dass der Pesch Hof eigentlich seit Ewigkeiten Paulshof heißt und so wurde der Hof dann in Paulas Hof umbenannt. Seit dem ist viel passiert in der Paula, es gibt verschiedenste (Wohn-)Räume, ein Büro zum Arbeiten, einen Musikraum oder es gibt dort Veranstaltungen. Ein Flügel der Paula ist explizit als „feminists only“ gekennzeichnet. Auch wurde sich mit der Fassade und dem Twitter Account ganz klar als queer-feministische Besetzung positioniert.
Fight patriarchy – for more feminist squatings
A love letter to Paula
Dear Paula
I have a confession to make. I am something of a weekend warrior.
Lützi is a place dear to my heart. I must have visited it over a dozen times now. Last October, I camped out in a field. In November, I came as a day visitor. In December, I slept in HDU and the Villa. We built many structures, prepared them for the winter. During winter and until the beginning of spring I was kept away by work and family obligations in the city.
But something had changed. Rumors were going around, whispers of a new place to be explored. A place of security, of art and of relative domesticity.
I am of course talking about the famous Paula’s Hof. As soon as I could find the time I returned to Lützi, laying down my mat and my sleeping bag in the Bread Room, and ever since I have been in love with the Paula.
There is no other place quite like it. The building speaks to those who visit. Little texts on the wall give you life advice, tell about the feelings of the people who were there before you. Some are crude jokes. The comefort of running water makes you feel right at home (weekend warrior, I know). But what enchants me the most are the birds who made the court their home, the many many swallows who made their nest. Only if you have heard it yourself you know the joy of hearing and watching the swallows play over your head in the morning.
Truly, everyone should pay a visit. Where else in Lützi can you get such a good night’s rest before you start the day, where else do you feel so secure when you come home from a campfire?
Thank you for opening your doors to me.
Forever yours
Katari
Pure Gemischtheit
- we.
Nasskalte, zerflederte Pulliärmel Manche Gedanken gehörn direkt auf den Sperrmüll Manche sind schön und bevor sie gehn Kannst du sie und will ich sie auf Papier stehen sehn Durchs Fenster zur Grube schallen unsere Rufe Zwischen Kerzen und Scherzen "Frohe Weihnachten" geht raus an die unbedachten Da draußen im Regen Regt sich heute nicht viel Doch drinnen pflegen Wir eine Tradition die uns erst neulich einfiel. Um 10 schon freegan Strudel Und zweierlei Sprudel in der Buble Mit Mate und Sekt Wird mensch hier geweckt Allerlei Speisen überwuchern Wie Efeututen für hungrige Schnuten Unsern Tisch hoch oben auf den Buchen Und Eichen. Hier stellen wir Weichen Anstatt von der Stelle zu weichen. Noch eine Gabel zum Schnabel Noch ein Tanz zum Brunch Noch eine Socke gestopft Und noch ein geflochtener Zopf Während es draußen noch tropft Und irgendwann schneit (vielleicht) Frag ich mich wo ihr dann eigentlich seid.
Life at lutzerath
Tempest Valentine
The alarm rings. Its 1 am, outside its 0°c and you are forcing yourself out of bed for a night shift to protect your comrades. Stumbling about in the dark trying to find your thermals, jumper, fleece and salopettes but attempting your darnest not to wake your roomies- bare in mind you’re blind, totally night blind, and it’s an utterly clumsy process.
Dressed and ready to embark on your mission, you go in search of the best coffee in town before clocking in. Finally your shift begins, that 750ml of zapista coffee is going to be very handy, trust me. The taste of freedom keeps you going. The fire burns away in the background as you and others build life long bonds. A car may drop by because they are lost and you will help redirect them back. All of you standing by incase anything menacing that could approach, ready to sound the alarm and defend. Luckily this night shift ends peacefully for a live occupation.
This is the occupation at Lutzerath. Back in 2020 locals of Lutzerath sprung to action and began resistance against RWE, a German multinational energy company. RWE famously forced 40,000 people out of their homes to sieze land they wanted to dig a coal mine on.
Initially, they blockaded a road which RWE had their eyes on to further their coal mining. This action later transformed into a road side camp. Over time the movement grew organically. Comrades from near and far heard a calling and came running. With numbers came the expansion of the occupation creating this inclusive hub for international activists who fight for climate justice. "One struggle, One Fight".
Standing side by side with comrades from across the globe fighting against a system, the destruction of our planet and the police, it empowers me greatly; giving me a new lease of life. Doing nothing allows the oppressive state to further our suffering and weaken our resolve. This is me taking control of a dire situation. Coming to occupations gives me hope that we will have a better and equal future for all one day. Coming into these spaces allows us to see how a society could be. It offers us hope at a time when the politicians are deciding the fate for us all with only profit in mind.
"I fight cops but food destroys me!" I scream in the 'warm room'. Frustrated at the fact that all I wanted to do more than anything was to eat some food. Desiring nothing more to feel the heat it would later provide me. To just be able to function and to flipping thrive! Every single comrade supported me in that moment. I’ll forever be grateful for their comrady. For me this place has been deeply healing.
Everyone here is willing to pass knowledge on for no personal gain. Learning could be free and with no strings attached, imagine that?! Abbie Hoffman believed we should "steal it all" including our education. Eliminate the capitilistic business motivated middle man that is our corrupt education system specifically universities. For many people like myself who grew up in hardened austerity under the Tories this lead to our education being piss poor and lacking opportunities. People believe if you study and work hard you will being able to escape poverty; "The American Dream". I call bullshit as have many other revolutionaries throughout history and currently do. Since getting into activism I’ve been offered so many amazing opportunities whereas in the mainstream society doors were slammed shut in my face.
No place is perfect. Even with the progressive need to be more progressive. Every occupation is phenomenal in its own right yet they all still have so much to learn from other sites including current live occupations and historical, even the ones who had struggles because we all have much more to learn but it’s a start. It’s just the beginning. It’s better than what we have. The revolution doesn’t just happen over night. Every revolution throughout history took time.
Solidarity & rage,
Tempest Valentine.
12.09.2022 - morgens
Gerade sitze ich oben im Baum, trinke Kaffee, höre Klaviermusik. Ich fühle ganz schön viel in solchen Momenten. Geborgenheit, Sicherheit aber auch Schmerz, Wut und Trauer. Dieser Ort ist so voller Emotionen. Er verlangt mir soviel ab und gibt mir gleichzeitig so viel.
Wenn ich ein Jahr zurückdenke, an meine erste Zeit hier, dann sehe ich ganz andere Menschen in meinem Leben. Dann sehe ich auch verdammt viel Unsicherheit in mir selbst. Diese Unsicherheit ist auf jeden Fall nicht weg und manchmal auch noch sehr stark und handlungsbestimmend. Aber ich würde sagen, dass ich immer mehr lerne mit ihr umzugehen. Bewusste Entscheidungen zu treffen.
Ich bin vor allem unfassbar dankbar für all die Menschen in meinem Leben, die gerade um mich sind. Es ist manchmal schwer vorstellbar, dass sie alle vor einem Jahr noch kein Teil meines Lebens waren. Jetzt teilen wir unsere Gefühle, unser Geld und unser Zuhause miteinander. Was für ein krasses Jahr. Ich hätte mir das alles vor einem Jahr niemals erträumen lassen können. Aber da dachte ich auch noch, dass das Dorf den Frühling und Sommer nicht mehr erleben würde. Tja, Zusammenhalt ist nun mal stärker als jede staatliche Macht dieser Welt!
- Dies war ein kurzer Tagebucheintrag aus Lützi von mir. Als ich überlegt habe, ob/was ich für das Zine machen könnte, habe ich mich irgendwie schnell an den Moment, als ich den Eintrag geschrieben habe, erinnert. Ich weiß noch, wie die Blätter noch grün, aber schon im Übergang Richtung Herbst waren und ich morgens als erstes ein Eichhörnchen auf dem Ast neben dem Fenster habe herumturnen sehen. Und wie die frische Luft und der Wind ins Baumhaus gefegt ist, sobald ich die Tür vom Bett aus geöffnet habe.
Ich dachte, dass es mich traurig machen wird zu lesen, was ich damals aufgeschrieben habe. Und vor allem daran erinnern wird, was alles nicht mehr ist. Doch überraschenderweise hat es mich eher glücklich gemacht, daran erinnert zu werden, dass es solche Momente gab und zu merken, dass jetzt zwar vieles anders ist und ich mich schon auch oft in dieses kleine Dorf zurücksehne, aber dennoch auch soviel geblieben ist. -
Lützi klebt oder Warum ich noch hier bin
Warning
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Beschreibung von Räumung und Polizeigewalt |
Note
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Zur Positionierung der Autorin: Ich bin weiß, cis-weiblich, neurotyp und ‚able-bodied‘ |
Ich hatte nie vorgehabt mich einem Protest anzuschließen. Alles was ich eigentlich vorhatte war hin und wieder mal auf eine Demo zu gehen. Mittlerweile sind über anderthalb Jahre vergangen und ich gebe manchmal zu in Lützerath zu wohnen.
Ursprünglich geplant war: einmal hinfahren, Dorfspaziergang mitmachen, dann wieder nach Hause… Warum also bin ich noch immer hier? Die Antwort ist eigentlich recht leicht: Die Menschen warens und zu sehen, dass es nicht immer nur laufen kann wie im gesellschaftlichen Mainstream. Lange Gespräche aus denen sich zunächst noch recht unklare Ideen herausbildeten, welche mit der Zeit dann immer klarer wurden. Das Hinterfragen gesellschaftlicher Normen, wie der Lohnzuarbeiten, sich die Beine zu rasieren oder blind Regeln zu folgen. All das habe ich hier zum ersten mal bewusst getan und kam irgendwann zum Schluss, dass es nicht so weitergehen kann wie es ist. Ich kann nicht nur Studien lesen, auf individueller Ebene Einschnitte machen und es dann dabei belassen. Wenn ich kein Plastik verwende, interessiert es die Industrie nicht, aus veganer Ernährung kann ein neuer Markt erschlossen werden und wenn ich beschließe nicht mehr zu fliegen, Auto zu fahren oder einkaufen zu gehen, gibt es dennoch mehr als genug Leute die das System aufrechterhalten.
Mir wurde klar, dass Lützerath ein Ort ist an dem ich lernen kann, auf eine grundlegendere, eine radikale Veränderung hinzuwirken. Es ging mir nie ums Dorf (was kümmern mich schon ein paar Gebäude, wenn wir mitten in der Klimakatastrophe stecken), sondern darum, dass der Kohleabbau schon lange hätte gestoppt werden müssen. Warum wird hier weiter Kohle abgebaut wenn es doch energiepolitisch garnicht notwendig ist? Warum dürfen hier Bäume gefällt werden, wenn der einzige Sinn dahinter ist, Profite für Großaktionär*Innen zu erwirtschaften?
Ich erlebte die Rodungssaison 2020 in Lützerath mit, hörte wie Baum nach Baum fiel und konnte nicht mehr tun als heulen, weil meine Arme gefesselt waren und Polizist*Innen um mich rum standen. Ich klammerte mich im Unterholz fest, während der Harvester wenige Meter weiter Bäume tötete. Ich wurde gewaltvoll rausgezogen, da ich mich im Rodungsbereich befand. Dornen schnitten meine Arme auf. Natürlich konnte die Zerstörung nicht gestoppt werden, sie war ja schließlich genehmigt! Ich war die Kriminelle, befand mich im Unrecht, durfte sexualisiert werden und wie ein Gegenstand hin und her getragen werden, wenn ich nicht freiwillig ging.
Ich konnte es nicht fassen, war Tag um Tag aktiv. War übermüdet und am nächsten Tag wieder um 5 Uhr wach. Ich redete auf Polizist*Innen ein wenn ich mal wieder Wartezeit zu überbrücken hatte, bekam von lieben Menschen Essen, Getränke und Rettungsdecken gebracht… Kurz gesagt: Ich war der Macker der ständig in Aktion ging ;)
Die Rodungssaison ging vorbei und ich blieb. Natürlich erstmal nicht dauerhaft, aber wenn ich da war dann wurde es irgendwie doch immer länger. Mit der Zeit bildeten sich die ersten Freund*Innenschaften, ich lernte gendergerecht zu sprechen, ging regelmäßig containern und entwickelte Stück für Stück meine eigene ‚Theory of Change‘ (um mal etwas mehr Szenesprech reinzubringen). Ich baute an Baumhäusern, verliebte mich in Bäume und Antikapitalismus. Fand irgendwann wieder die Zeit zu lesen und begann mich mit anarchistischer Theorie auseinanderzusetzen.
Es wurde ruhig in Lützerath, aber natürlich kam ich dennoch nicht zur Ruhe, suchte mir Projekt nach Projekt und war eigentlich nur so richtig zufrieden wenn ich mich produktiv fühlte (ihr seht schon, dem Neoliberalismus konnte ich nicht so leicht abschwören…). Ich schnupperte in fast alle AGs rein und fühlte mich irgendwann einfach in Lützerath zu Hause. Während es leicht war in Lützerath zu sein wurde es schwieriger an nicht-aktivistischen Orten, zum Teil zu einer echten Katastrophe in der das was ich gelernt hatte und was mir wichtig ist einfach rundheraus abgelehnt wurde.
Mit der langen Anwesenheit an einem Ort geht natürlich auch irgendwann die rosa-rote Brille verloren und es gibt einige Dinge die ich als durchaus kritikwürdig betrachte:
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Nicht veganes Freegan-Essen ist normalisiert und ein reflektierter Umgang, dass diese Produkte noch immer das Resultat der kapitalistischen Tierleidindustrie sind findet nur teilweise statt.
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Hierarchiefreie Organisierung läuft noch nicht so ganz rund.
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Antikapitalismus ist, sagen wir es mal, noch nicht ganz in der Praxis angelangt (oder so fühlt es sich zumindest für mich an)
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dass wir ständig auf die Bedürfnisse der weißen, privilegierten Dorfis Rücksicht genommen haben und diese als unsere (Haupt-)Verbündeten betrachten, die wir auf jeden Fall auf unserer Seite halten und befrieden müssen, statt jene anzusprechen die von dem bestehenden System am meisten unterdrückt werden (Arbeiter*Innen, BIPOCs, Queers, Menschen mit Behinderung).
Ich habe beim Schreiben überlegt, ob ich diese Punkte wirklich aufnehmen will. Am Ende siegte jedoch der Wunsch das ein offener Umgang mit solchen Dingen stattfindet, damit wir gemeinsam aus den Dingen die noch nicht ideal laufen lernen können. Wenn wir diese immer wieder zensieren und totschweigen, nehmen wir uns selbst die Möglichkeit zu lernen.
Gerade der erste und letzte Punkt sind in meiner politischen Praxis relevant. Die Unsichtbarmachung von Tierleid, die auf Unterdrückung basierende Ausbeutung von belebter und unbelebter Natur, dass sind für mich die Grundlagen gegen die ich aktiv werden will.
Es geht mir nicht darum den Menschen ein möglichst komfortables Leben zu ermöglichen (auch wenn natürlich die Grurndversorgung aller gesichert sein sollte, was sie im kapitalistischen System eben nicht ist), sondern um eine Neuorientierung, in der wir solidarisch mit der Welt und einander sind. Nicht alle Gruppen können sich gleich gut gegen Unterdrückung wehren, Leid wird sehr ungleich berichtet. In der Tat wird zumindest in den Mainstream-Medien gerne von den ‚Ungerechtigkeiten‘ berichtet die weiße, privilegierte Personen erfahren (siehe wie in jedem Bericht aufgegriffen wird das Eckhardt seine ‚Heimat‘ verlassen muss) während die Kämpfe und Erfahrungen marginalisierter Gruppen in der medialen Repräsentation wenn überhaupt einen Beisatz darstellen.
Wenn unser Protest als Klimaschutz und Lützerath als 1,5°-Grenze bezeichnet wird, werden wir im kapitalistischen System instrumentalisiert. Ich wurde von meiner Familie gefragt ob es denn nicht vorbei sei jetzt da Eckhardt verkauft hat… Das ist was außen wahrgenommen wird. Das ist was bei fast jedem Protest nach außen dringt. Der Danni & Hambi waren da um Wälder zu retten, in Lützerath wird ein Dorf verteidigt oder bestenfalls gegen RWE protestiert.
Was wir wirklich vermitteln wollen: der Kampf für soziale Gerchtigkeit, die Auflehnung gegen das bestehende System wird nach Möglichkeit unsichtbar gemacht oder so verdaulich wie möglich dargestellt. Das nervt, aber ist zu erwarten. Wir müssen die Blase aufbrechen in der wir gehalten werden. Wir müssen wüten und protestieren bis in der Gesellschaft ankommt, wofür wir wirklich kämfen! Wir kämpfen gegen das Recht und für Gerechtigkeit, gegen das ständige Gegeneinander und für Solidarität!
Lützerath bleibt widerständig!
Lützerath bleibt laut!
Lasst uns für das einstehen was richtig ist und nicht das was rechtlich legitimiert wird. Ich kämpfe nicht für Lützerath, sondern in Lützerath, weil ich denke, dass der Kampf sich lohnt. Ich werde nicht weichen! Ich bin dankbar für das was ich hier gelernt gelernt habe. Egal ob Lützerath als Ort erhalten bleibt… Für mich bleibt Lützi in jedem Fall! Als Ort an dem ich politisiert wurde. Als die Menschen die ich kennen und lieben gelernt habe. Als eine Sammlung von Erinnerungen.
Es ist möglich einen Ort zu räumen und zu zerstören, aber die innnere Haltung bleibt. Wir sind viele und wir werden mehr. Die Repressionen des Staats sollen uns in Grenzen halten… Aber wir lehnen uns auf gegen die Grenzen und sprengen sie immer wieder. Wir sind stark und können uns Freiräume schaffen. Lasst uns Widerstand zum Alltag machen. Wenn sie uns an einem Ort zerschlagen, tauchen wir halt an einem anderen wieder auf. They cannot evict a movement!
Die Geschichte der Eckardts
Größenwahn war ein wunderschönes Baumhaus in Lützerath. Größenwahn hatte sehr viel Platz und war viel mehr ein Wohnzimmer als nur ein Schlafort und zum Hochkletttern brauchte man keinen Klettergurt. Und so kam es, dass die Menschen, die dort lange in 2022 lebten, oft zu sich einluden und der Ort für viele das Wohnzimmer für die Reihenhaussiedlung und viele andere Menschen wurde. Am Montag wurde dort immer zum Sektfrühstück eingeladen, weil Montage freie Tage sein sollten. Oft haben wir uns zum Sektfrühstück mit sehr vielen Menschen ins Baumhaus gekuschelt und im Winter wurde es dort trotz Minusgraden so warm drin, dass wir uns zum ersten Mal in T-Shirts gesehen haben. Die Geschichte der Eckardts beginnt an einem Montag im November beim Sektfrühstück auf Größenwahn.
Es war ein kalter Tag, aber da wir so viele Menschen waren, war es in Größenwahn so gemütlich, dass wir bis 18 Uhr Sektfrühstück gemacht haben und es schon lange wieder dunkel war, als wir runterkletterten. Irgendwann an diesem Tag fiel einer Person auf, dass Eckardt sich auf lustig reimen würde auf ein Wort, das einen Buchstaben an den Anfang des Worts Eckardt hängt. So kam im Raum die Idee von "Eckardt’s Brüdern" auf, die alle bestimmte Eigenschaften oder Berufe haben. Zum Beispiel Bäckardt oder Treckardt. Wir hatten super viel Spaß dabei, einfach stundenlang Brüder von Eckardt zu erfinden. Wir haben uns auch schon ausgemalt, wie Eckardt als Bäcker oder als Hacker aussehen würde und was er wohl tun würde. Noch am selben Tag hat eine Person, T, mit dem Handy den Kopf von Eckardt trashig in Fotos reingefotoshoppt und damit die ersten 11 Eckardts erstellt und uns beim Essen gezeigt. Wir haben es alle ultra gefeiert. Ich habe dann auch einige Eckardts erstellt und T und ich haben angefangen und gegenseitig Eckardts zu schicken, die wir gemacht hatten.
Anfang Dezember musste ich ein paar Tage nach Hause. Ich habe Lützi unfassbar vermisst und wollte eigentlich nur dort sein. Was mir geholfen hat, war weiterhin Eckardts zu erstellen. Ich hatte auch drüber nachgedacht, aus den bestehenden Eckardts einen Adventskalender drucken zu lassen und mitzubringen, aber das hab ich nicht geschafft, deshalb ist es dabei geblieben, eine Art online Adventskalender mit Eckardts mit T zu machen und sich jeden Tag Eckardt Fotos zu schicken. Das Ganze hat den Dezember über auch nicht aufgehört, nachdem ich zurückgekommen bin. Eckardts sind überall entstanden, bei der Nachtschicht oder mitten am Tag nach einem spontanten Einfall. Manchmal haben wir uns auch gefragt, wie trashig diese Eckardts aussehen sollten, damit es am lustigsten ist. Hackardt ist zum Beispiel super schlecht gefotoshoppt, während ich mir für Star Trekardt bestimmt eine Stunde während der Bussi Nachtschicht Mühe gegeben habe.
Über Weihnachten habe ich Geschenke gemacht für die Menschen, die mir wichtig waren. Für T wollte ich dann alle Eckardts, die wir zu dem Zeitpunkt hatten, einmal ausdrucken und in ein leeres Notizbuch kleben, sozusagen als kleines Fotoalbum. Das mit dem Fotoalbum hab ich nicht mehr geschafft, aber das Audrucken schon. Dafür war ich am Morgen vom 24. Dezember in Kaufland. Ich wollte jeden Eckardt zweimal ausdrucken, einmal für mich als Erinnerung und einmal für das Weihnachtsgeschenk. In Kaufland gab es an dem Automaten aber nach der Hälfte des Druckauftrags kein Papier mehr. Kurz bevor ich direkt nach Weihnachten wieder nach Lützi bin, wollte ich also im dm die restlichen Eckardts ausdrucken. Leider hatte ich mir aber nicht gemerkt, welche schon gedruckt wurden und welche noch gefehlt haben. Deshalb habe ich ungewollt einige Eckardts 3 oder 4 mal gedruckt. So kam es, dass ich mehr Eckardts hatte, als eingeplant waren. Deshalb hatte ich dann wieder zurück in Lützi ein paar Menschen welche von den überschüssigen Eckardt Bilder geschenkt.
Was sich daraus dann entwickelt hat, habe ich überhaupt nicht kommen sehen. Plötzlich kamen Menschen zu mir und wollten auch unbedingt solche Bilder haben, weil sie sie so cool fanden. Innerhalb von kürzester Zeit kamen erst meine Freund*innen und sehr schnell auch Menschen, die ich gar nicht kannte zu mir und fragten mich danach. Alle bisherigen Pläne mit diesen Eckardt Bildern hab ich schon am ersten Tag verworfen. Am Anfang hab ich allen nur 2 Stück geschenkt und dachte auch, ich müsste es auf meine Freund*innen beschränken, weil ich gar nicht viele davon hatte. So kam es, dass Menschen angefangen haben, miteinander zu tauschen und zu sammeln. Mich hat das an Sammelkarten-Spiele aus der Kindheit erinnert und ich fand es super cool und lustig. Dann bin ich auf die Idee gekommen, dass man daraus ja tatsächlich genau das machen könnte. Nach 2 Tagen bin ich nach Jüchen in den dm gefahren und hab die erste große Ladung Eckardt Sammelkarten drucken lassen.
Es gab zu dem Zeitpunkt etwa 30 verschiedene Eckardts und ich vermute es waren dann ein paar Hundert Eckardt Sammelkarten im Umlauf. Nach dem ersten Drucken hab ich das Konzept von Starterpacks ins Leben gerufen, wo ich allen Menschen, die mich gefragt haben, zum Start 5 Eckardts gegeben habe. Damit konnte dann getauscht und gedealt werden. Das Ganze sprach sich wie ein Lauffeuer rum und ließ sich auch nicht mehr bremsen. Ich konnte es erst gar nicht glauben, dass überall Menschen Eckardts tauschten und überhaupt, dass Menschen, die ich gar nicht kannte, plötzlich Eckardts hatten. Damit es spannend blieb, habe ich Menschen immer zufällige Sammelkarten gegeben und sie nie was wünschen lassen. Besonders lustig war das, wenn jemand zweimal den selben Eckardt gezogen hatte und ich auf Frage, ob die Person neu ziehen kann, schelmisch geantwortet habe: "Dann musst du wohl tauschen." Ich hatte nicht so ein richtiges Konzept, wie ich die Eckardts fair verteilen kann, da ich nicht alle Menschen in Lützi kannte und auch allen unterschiedlich nahe stand und trotzdem wollte, dass es für alle fair ist, auch wenn es am Anfang nie geplant war, ganz Lützerath mit Eckardt-Sammelkarten zu versorgen. Irgendwann hab ich deshalb auch angefangen, Menschen, die ich nicht gut kannte, einfach welche anzubieten und generell zu kommunizieren, dass alle welche bekommen können, wenn sie fragen. Und weil meine Freund*innen, die ja alle schon mehr Eckardts hatten als das Starterpack, mich regelmäßig nach neuen Eckardts angeschnorrt haben, hab ich mal aus Spaß gesagt, dass ich Eckardts für erledigte Repro-Schichten verschenke. Das hat sich schließlich auch rumgesprochen und Menschen haben angefangen sich in Repro-Schichten einzutragen und mir davon zu erzählen oder einen Eckardt fürs Frühstück machen abzuholen. Es hat sich auch rumgesprochen, dass ich oft am Actionpoint war und immer wieder kamen Menschen zum Actionpoint, die das Gerücht gehört hatten, dort gäbe es Eckardts, manchmal auch ohne auf mich persönlich verwiesen zu werden.
Zwischen Weihnachten und der Räumung von Lützerath war ich mehrmals nochmal im dm und habe immer größere Mengen drucken lassen. Gleichzeitig habe ich auch immer neue Eckardts erstellt und auch oft Wünsche von anderen Menschen umgesetzt. Manche Menschen fanden auch die Bearbeitung der Bilder selbst krass, aber an der Stelle muss ich wirklich sagen, dass ich das mit einer kostenlosen App namens "Bilder bearbeiten" gemacht habe, für die man wirklich überhaupt keine Kompetenz und vor allem meistens nur eine Minute braucht.
Ich hatte bald das Gefühl, dass alle mich kennen, obwohl ich sie gar nicht kannte und ich habe dadurch in kürzester Zeit einfach super viele neue Menschen kennengelernt. Zu einem Teil hatte ich dadurch erst das Gefühl, wirklich zu Lützi zu gehören.
Ich muss euch nicht erzählen, wie hart die Zeit vor der Räumung war, aber neue Eckardts zu bekommen oder zu tauschen hat vielen einen Moment Leichtigkeit und Freude gegeben. Menschen haben Eckardts in Barrikaden gefunden oder sie wurden in der Gesa inspiziert. Selbst in der Räumung habe ich noch Eckardts verteilt, manchmal aus Traversen nach unten geworfen oder auf Dächern von Baumhäusern verschenkt.
Ich hatte erwartet, dass mit der Räumung auch die Sammelkarten vorbei sein würden. Aber tatsächlich ist es danach noch größer geworden. Im UAC haben davon auch Leute mitbekommen, die gar nicht in Lützi waren und ich habe noch mehr drucken lassen. Ich dachte super oft, dass es jetzt das letzte mal war, aber das war es nie. Mit der Zeit habe ich auch angefangen, einen Teil der neu gedruckten Eckardts an andere Personen zu geben, die dann auch Eckardts verteilt haben, sodass ich nicht mehr die einzige Quelle war. Irgendwann war es auch möglich, manche Eckardts wie bei einem Quartett-Spiel unter Kategorien zusammenzufassen. Zum Beispiel das Repressionsquartett (SEKardt, Vollstreckardt, Feststeckardt, BFEckardt), das Filme-Quartett (Captain Jackardt, Sirius Blackardt, Men in Blackardt, Star Trekardt), das Berufe-Quartett (Bäckardt, Dachdeckardt, Nähckardt, Trekkardt) und das Tiere-Quartett (Schneckardt, Heuschreckardt, Geckardt, Mähckardt). Es hat also angefangen, dass Menschen versucht haben durch Tauschen ihre Quartette voll zu bekommen. Im UAC hab ich angefangen die Eckardts mit schwarzem Rand zu drucken und damit gab es einen neuen Hype um die "Eckardt-Editionen", denn die Eckardts mit weißem Rand sind die Originale aus Lützerath und alle weiteren sind danach entstanden. Die nächste Edition ist im Heibo entstanden. Sie haben thematisch nichts mit dem Heibo zu tun und haben auch keinen extra gefärbten Rahmen bekommen. Und somit wird die Heibo-Edition und welche Eckardts dort entstanden sind, immer ein Geheimnis der Menschen bleiben, die bei diesem einem lustigen Abend in diesem Baumhaus im Heibo waren. Für das Nachtreffen im Kloster hab ich mir auch eine neue Edition ausgedacht, nämlich Glitzereckardts und hab mit Glitzerstiften eine Nacht lang Eckardts angemalt. Es gab sogar eine Protestaktion gegen die Glitzereckardts: Jemand fand es wohl gar nicht cool, dass nicht alle Menschen Glitzereckardts haben konnten, und hat dann deshalb kurzerhand selbst Glitzerstifte besorgt und an den Infopoint mit einem Schild gelegt: "Mach dir deine eigenen Glitzereckardts". Das Eckardt-Game hatte scheinbar für manche eine Ernsthaftigkeit angenommen, die ich persönlich ihm nie zugeschrieben habe.
Eine Frage blieb allerdings die ganze Zeit unbeantwortet, nämlich wie Eckardt selbst ein Sammelkartenspiel mit lächerlichen Bildern von sich selbst finden würde. Über diese Frage hatten immer mal wieder Menschen nachgedacht und wir waren unsicher, wie wir damit umgehen sollten. Ich muss ehrlich sagen, dass wir auch Angst davor hatten, dass Eckardt wütend und sauer wäre. Das ist auch der Grund, weshalb ich nie Eckardts online verschickt habe, wenn ich danach gefragt wurde, weil ich nicht wollte, dass sich diese Bilder online verbreiten. Einmal wollten auch Menschen mit Eckardt reden, aber wir standen Eckardt nicht nah und hatten auch vorher nie mit ihm geredet, sodass sich die Gelegenheit nicht ergeben hat. Das hat sich beim Nachtreffen im Kloster geändert. Dort habe ich Eckardt super nervös und aufgeregt ein Starterpack Eckardts gegeben und ihm erklärt, was es damit auf sich hat. Währenddessen standen ganz viele Menschen, vor allem von der Mawa, drum rum und haben ganz neugierig darauf gewartet, wie er reagieren würde. Er hat erst nicht viel gesagt, hat vermutlich die Tragweite auch noch nicht ganz verstanden. Aber als er angefangen hat, zu schmunzeln und etwas zu sagen wie "Ja… hm … das ist ja lustig", sind wir Umstehenden vor Freude und Erleichterung in schallendes Gelächter ausgebrochen. Und dann entstand eine ganz besondere Eckardt-Edition: Menschen haben angefangen, ihre Eckardts signieren zu lassen.
Manche Menschen sagen, dass die Eckardt-Sammelkarten wie eine Art Awareness-Konzept gewirkt haben. Eckardts tauschen hat Menschen zusammen gebracht und Gespräche geöffnet, Eckardts waren in Awareness-Kits drin und wurden sogar per Post in den Knast geschickt. Die Entstehung der Sammelkarten war ein Zufall, aber am Ende hätte ich in dieser Zeit nichts lieber gemacht als alle paar Tage in den dm zu fahren und eine Stunde am Fotoautomat zu verbringen, um ein bisschen Humor in diese schwierige Zeit zu bringen.
Auch an dieser Stelle hätte man denken können, dass sich mit dem Nachtreffen im Kloster ein Kapitel schließt, zu dem auch die Eckardts gehören. Zu einem großen Teil war das auch so. Dass ich so viele Lützi-Menschen danach wieder an anderen Orten treffen würde, hatte ich nicht erwartet und doch kam es so. Ich war unsicher, ob die Eckardt-Sammelkarten Monate später noch Menschen interessieren würden, aber ich machte trotzdem nochmal ein paar neue, druckte sie mit türkisenem Rand und brachte damit die "Rügen-Edition" zum LNG-Camp nach Rügen. Wir hatten aber immer noch Spaß dran und alle waren auch ganz heiß auf die neuen Eckardts. Das Camp auf Rügen hat damit geendet, damit es nach der Demo ein Konzert am Strand gab und wir dort im Sand getanzt haben. In einem Moment haben W und ich dann ganze Hände voll Eckardts in die Luft geworfen und während es Eckardts geregnet hat, haben Menschen sich welche in der Luft gefangen und im Sand danach gegraben und es schien als sei die Welt um uns herum für diesen einen Moment auf Pause gestellt. Das war ein magischer Moment. Es war magisch, weil es dort am Strand mit all den Menschen so wunderschön war und weil ich in diesem Moment begriffen habe, dass Lützi mit uns weiterlebt. Ich habe danach noch zweimal Eckardts zu Events mitgebracht, einmal zur Fusion (lila) und einmal zum Nachtreffen ein Jahr später (blau). Die Geschichte der Eckardts, so würde ich es sagen, endete aber mit diesem Tanz am Strand auf Rügen. Wir hatten schließlich auch irgendwie eine Inflation ausgelöst.
Insgesamt gibt es heute 111 verschiedene Eckardts. Über Monate habe ich Ideen gesammelt und jeden Reime-Finder um Internet durchprobiert, bis es immer schwieriger wurde, neue Eckardts zu erfinden. Nach einem Jahr würde ich sagen hatte ich das Eckardt-Game durchgespielt. Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass heute noch Reime entstehen, die nicht schon mal erstellt wurden oder zumindest auf einer Liste standen. Aber ich lasse mich gerne überraschen. Irgendwann habe ich den Überblick verloren, wie oft und wie viele ich neu gedruckt habe und kann deswegen nur schätzen, dass insgesamt zwischen 2000 und 4000 Eckardts im Umlauf sein müssen, die in dm’s in mindestens 8 Städten gedruckt wurden, wo ich mittlerweile die verschiedenen Softwares der Sofortdruck-Automaten auswendig kenne. Es wurden auch Eckardts in einer Wanderausstellung über Lützerath ausgestellt (leider falsch beschriftet) und einige sind im Archiv. Erst viel später ist mir bewusst geworden, dass Eckardts irgendwie auch ein Teil der Kunst aus Lützerath sind.
Ich wurde oft gefragt, wie die Eckardts entstanden sind. Hier habt ihr nun die ganze Geschichte. Es war schwer zu fassen, wie groß Sammelkarten mit schlecht bearbeiteten Fotos von Wortwitzen über einen Bauer aus dem Rheinland werden konnten. Doch so ungeplant wie sich diese Geschichte entwickelt hat, macht es doch Sinn. Denn was ich für mich daraus mitnehme, neben Erinnerungen an eine Zeit, die sich wie ein Film anfühlte, ist die Erkenntnis, dass wir in dieser Bewegung nach Spaß dürsten, nach Leichtigkeit und Humor. Dass wir auf diese Weise nicht lange durchhalten werden. Und dass wir uns das oft gar nicht eingestehen, dass wir oft gar nicht wissen, was uns gut tun würde, weil wir verlernt haben, was Leichtigkeit bedeutet. Verständlich, in dieser Welt, in der wir leben. Wir kämpfen jahrelang gegen ein System, das uns übermächtig erscheint, sind ständig konfrontiert mit Krisen, gegen die wir gar nicht alle gleichzeitig kämpfen können. Und so ernst die Lage ist, bin ich doch überzeugt, dass wir uns selbst manchmal weniger ernst nehmen sollten. Dass es okay ist, nicht immer zu kämpfen und dass es okay ist, Spaß zu haben. Kapitalismus und Unterdrückung funktionieren auch dadurch, dass sie uns Freude und Glück und das wofür es sich zu kämpfen lohnt nehmen und uns daran zerbrechen lassen. Ich bin überzeugt, dass es Befreiung und Widerstand ist, uns unser Lachen nicht nehmen zu lassen. Ob das jetzt mit Sektfrühstück auf Größenwahn beginnt oder mit allem anderen, was uns ein Lächeln schenkt. Ich bin überzeugt, dass Spaß revolutionär ist.
FLINTA* Perspektiven aus der Infra-AG
Die folgenden Beiträge stammen von einer kleinen Crew, die sich in der Infra AG gefunden hat und berichtet aus der FLINTA* Perspektive in ebendieser. Wir können natürlich nur für uns sprechen und erkennen an, dass es dazu mehrere Perspektiven gibt. Wir sind uns der Kritik in Bezug auf Wissens- und Machthierarchien, Fokus auf Arbeit usw… die der Infra AG häufig entgegengebracht wurde, bewusst und können sie nachvollziehen, hatten wir innerhalb der AG doch auch häufig mit diesen Dynamiken zu kämpfen. Für uns war die Infra dennoch in vielen Momenten ein Ort zum Ausprobieren und Lernen. Denn als wir jeweils erstmals zur Infra dazu kamen, hatten wir auch oft keine Ahnung. Wir wurden auch oft von Selbstzweifeln und fehlendem Vertrauen in unsere Kompetenzen (natürlich auch von außen) geplagt und nutzten den Raum letztlich, um uns selbst zu ermächtigen, nicht zuletzt durch Projekte, die wir ohne cis-Dudes geschafft haben. Jetzt, 1,5 Jahre nach der Räumung wollen wir das Zine zum humorvollen, empowernden Erinnern daran nutzen.
In diesem Sinne ist unsere Botschaft an andere FLINTA*s ganz klar: Besteht darauf, auch größere und komplexere Aufgaben selbst erledigen zu dürfen! Probiert Dinge aus, die ihr noch nie gemacht habt und von denen Menschen denken, dass ihr sie nicht könnt! Schließt euch als FLINTA*s zusammen, teilt euer Wissen miteinander! Und vor allem habt Spaß dabei, wenn ihr wunderbare Dinge erschafft <3
Dialoge zwischen zwei FLINTA*s aus der Infra AG, wie sie sich zugetragen haben könnten
„Hey, hast du Lust *beliebiges Bauprojekt* zusammen zu machen?“
„Ja an sich schon, aber ich habe das noch gar nie gemacht. Hast du das schonmal gemacht?“
„Nee. Ich glaube aber das können wir uns selbst beibringen.“
„Echt? Mich schreckt das ganz schön ab. Was, wenn wir das falsch machen? Sollten wir nicht wieder irgendwen fragen?“
„Ja stimmt schon, wen fragen ist grundsätzlich keine schlechte Idee. Manchmal gibt es Menschen, die in bestimmten Bereichen schon viel Erfahrung gesammelt haben. Von deren Erfahrung zu profitieren kann echt hilfreich sein. Manchmal habe ich aber auch keine Lust zu fragen, weil die Reaktionen darauf oft schon blöd waren.“
„Ja da hast du recht, das ist mir auch schon so gegangen. Zum Beispiel wurde oft ge‘mansplaint‘ oder mir die Aufgabe einfach abgenommen, weil sie zu komplex für mich wäre und die andere Person keine Lust hatte, sich die Mühe zu machen einen Skillshare zu geben.“
„In unserem Fall jetzt glaube ich, wir können es auch selbst an einer unwichtigeren Stelle ausprobieren. Wir können in dem Fall hier nicht so viel kaputt machen. Ehrlich gesagt gibt es auch Menschen, die total froh sind, wenn wir ihnen diese Arbeit endlich abnehmen.“
„Okay cool, du hast mich überzeugt!“
„Wollen wir noch unsere Freund*in XY fragen, ob sie*es* Lust hat das mit uns gemeinsam zu lernen?“
4 Tage später
„Hey, hast du schon mitbekommen? Wir haben voll viel Anerkennung bekommen für das System was wir uns für *beliebiges Bauprojekt* ausgedacht haben!“
„Ja, ich habe voll gemerkt, dass mir die Sachen die wir beim letzten *beliebigen Bauprojekt* gelernt haben, geholfen haben! Hat sich richtig empowernd angefühlt, auch mal in einer FLINTA* Crew ohne handwerklich ausgebildete Macker ganz allein mit *beliebigem einschüchterndem Werkzeug / Fahrzeug* sicher zu arbeiten / zu fahren. Weil bei denen hätte ich nur danebenstehen dürfen und wäre mir voll dumm vorgekommen.“
3 Wochen später
„Ich finds richtig gut wie viel wir gerade in der Infra erledigt bekommen, es gibt ja auch einfach so viel zu tun! Wenn wir die ganze Woche von morgens bis Abends arbeiten, dann frieren wir auch nicht so viel bei der Kälte.“
„Ja, das geht mir schon auch ähnlich. Gleichzeitig ist es auch ganz schön anstrengend, und manchmal frag‘ ich mich, ob wir nicht doch auch mehr Pause machen und auf uns achten sollten. Abgesehen vom der ganzen Arbeit, kannst du gerade gut spüren, wie es dir so geht?“
„Puh, manchmal fällt mir das echt schwer so auf mich zu achten. Ich finde es dann oft einfacher etwas zu arbeiten was für alle wichtig ist, oder eben für andere Menschen da zu sein.“
„Ja, das kann ich verstehen, es ist nicht so leicht. Und hier kommen wir auch wirklich schnell in so einen Modus wo es einerseits notwendig erscheint viel zu schaffen und andererseits auch oft Spaß macht. Aber manchmal würde ich mir trotzdem wünschen, wir würden uns mehr Auszeit nehmen, Zeit für andere Dinge, Zeit für uns.“
„Andere AGs in Lützi machen immer montags Pausentag. Ich glaube letztes Jahr gab es in Lützi generell den Konsens, dass montags nicht gebaut wird. Um auch mal aus dieser Leistungslogik rauszukommen und Allen Ruhe zu ermöglichen.“
„Klingt irgendwie auch nach ner schönen Idee. Ich bin mir unsicher, ob sich das so gut mit der Realität unseres Alltags in Lützi umsetzen lässt…?“
„Wollen wir das nicht mal den Anderen im Infra Plenum vorschlagen? Dass die Infra sich auch an den Pausentag hält in Zukunft?“
„Ich weiß nicht, ob das allen passen würden. Wie wäre es, wenn wir stattdessen heute Abend mal nicht ins Plenum gehen und uns einfach ne Pizza bestellen, eine Freundin zu uns nach Hause einladen und uns einen gemütlichen Abend machen? Das ist doch auch Self-Care, oder nicht?“
5 Monate später
„Weißt du, was ich dir noch erzählen wollte?“
„Ne, was denn?“
„Erinnerst du dich an Person XY, eine Freundin einer Freundin von früher, die letzten Herbst schon mal eine Weile bei uns in Lützi war und mit uns gemeinsam *beliebiges Bauprojekt* gemacht hat?“
„Ah, du meinst die, deren Freund auch ausgebildeter Handwerker ist?“
„Genau! Als du neulich ein paar Tage nicht in Lützi warst, ist sie mal wieder hier bei uns gewesen. Sie hat mir erzählt, dass sie früher in der Anwesenheit ihres Freundes, z.B. in ihrer gemeinsamen Wohnung, noch nicht mal eine Schraube mit dem Akkuschrauber in die Wand gedreht hat. Aber dadurch, dass sie mit uns in Lützi schon so richtig viel ausprobiert und gelernt hat, hat sie mittler- weile eine viel selbstbewusstere Haltung ihm gegenüber und kann Projekte einfach allein umsetzen! Cool, oder?“
„Ja, das ist richtig cool zu hören! Ich hoffe, das geht vielen Menschen ähnlich, selbst wenn sie nur ein paar Tage oder Wochen hier waren!“
3 Monate später
„Rate mal was Aufregendes geplant ist! Ein Kettensägen Skillshare nur für uns FLINTA*s! Unsere Freund*in YZ aus UnserAllerWald wird das nächste Woche für uns anbieten!“
„Das klingt ja mega cool! Hab voll Bock!“
„Weißt du, vor ein paar Jahren, da war ich noch mit meinem Ex-Freund zusammen, der war natürlich GANZ TOLL im Kettensägen. Wir haben damals gemeinsam Sommercamps für Kinder und Jugendliche organisiert und er hat dort hauptverantwortlich die Infra Arbeit gemacht. Er hat damals wirklich wochenlang nur über IBC Tanks, Wasserkanister, Euro-Paletten, gemietete Transporter und Bierbankgarnituren geredet. Ich habe es gehasst. Konnte seine Begeisterung dafür nicht verstehen. Und wenn ich mal versucht habe Interesse zu zeigen, habe ich mich eher belehrt gefühlt, als in seine Welt eingeladen, denn diese Welt war definitiv Männersache.“
„Oh das klingt ja schrecklich! Drei Jahre später würde der dir gar nichts mehr vormachen, mit all dem und noch vielem mehr kennst du dich ja inzwischen selbst ganz gut aus!“
„Und jetzt lerne ich sogar noch Kettensägen, juhuu! Und wenn mir je nochmal irgendwer verbieten will, auf die Männer-Pissrinne zu gehen, dann kann ich in Zukunft einfach für alle denen das hilft, eine eigene Hockpissrinne bauen!“
„Speaking of which… ich glaube die sollten wir mal wieder reparieren gehen…“
7 Wochen später
„Du darf ich dich was fragen?“
„Klar, hau raus.“
„Ich frag‘ mich manchmal, ob wir nicht auch langsam ein bisschen zu Infra-Bau-Mackern geworden sind. Meinst du, wir als FLINTA*s können auch Macker sein? Ich habe in letzter Zeit öfters mitbekommen, dass Menschen denken wir wären voll kompetent und voll der geschlossene Kreis, der viel soziale und materielle Macht hat.“
„Hmmm, ja ich würde sagen grundsätzlich können sich FLINTA*s auf jeden Fall auch ‚mackrig‘ verhalten. Gut, dass du mich darauf angesprochen hast. So ein Bild wollen wir ja nicht vermitteln. Vielleicht sollten wir anstatt dem nächsten Infra Plenum mal ein Reflexionsplenum zu Wissenshierarchien und Machtpositionen der bzw. in der Infra machen!“
9 Monate später
“Boa, krass, dass die Räumung von Lützi jetzt schon ein halbes Jahr her ist, oder?“
„Ja, keine Ahnung wo das Frühjahr hin ist. Ich bin ganz schön tief im Loch fest gehangen. Dass wir irgendwann angefangen haben, mit den anderen Freund*innen regelmäßige Calls zu machen, um beieinander einzuchecken, hat mir echt geholfen.“
„Ja, irgendwie schön, dass wir so als Gruppe auch nach der Räumung noch weiter zusammenwachsen, auch wenn wir nicht mehr am selben Ort wohnen. Mit euch fühle ich mich einfach immer direkt wohl, wir haben so viel gemeinsam durchgemacht.“
11 Monate später
„Leute, wisst ihr was ich neulich für eine Realisierung hatte? Ich habe mich doch mit Freund*in AB und Freund*in BC (die beide nicht in der Infra waren) zu einem Lützi-Reflexionsabend getroffen. Die beiden haben viel davon erzählt, wie sie jeweils in Lützi innerhalb mancher ihrer großen Aufgabengebiete oft voll die Einzelkämpfer*innen waren, weil die Macker, von denen sie die Aufgabengebiete übernommen haben, ihnen das so vermittelt haben. Und so eine Ausgangssituation ist natürlich wie geschaffen dafür, sich völlig zu überarbeiten ohne das andere überhaupt mitbekommen, was man leistet und wie es einem womöglich immer schlechter geht. Da ist mir klargeworden, dass ich auch deshalb vergleichsweise wenig Burn-Out oder Ähnliches von Lützi hatte, weil einfach klar war, dass wir Aufgaben im Infra Plenum besprechen und dann gemeinsam erledigen! Mehr Hände, mehr Augen, mehr Hirnschmalz und irgendwie ja auch mehr Gelächter machen Vieles echt einfacher und erträglicher.“
„Ja, wir haben echt viel zu lachen gehabt zusammen!“
„Aber, ich musste mir auch eingestehen, dass ich es bereue, dass wir damals nicht wie der Rest vom Dorf montags Pausentag gemacht haben. Das war schon echt uncool, für die anderen genauso wie für uns selbst.“
To be continued…
Das große Baumacker-Quiz – Wie mackrig bist du wirklich?
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Tagsüber
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Nachts, wenn eigentlich alle schlafen wollen und der Schlagbohrersound so richtig fetzt!
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Ich gestalte das Plenum möglichst willkommend und niedrigschwellig.
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„Wenn Leute was wissen wollen müssen sie halt nachfragen!“
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Du freust dich über Interesse und bietest ein Skillshare an.
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Du machst es schnell selbst. Aber zum Leiter halten könntest du die andere Person doch gebrauchen.
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Ich akzeptiere es und mache mich anderweitig nützlich.
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Ich heule rum und fühle mich ausgeschlossen.
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Ich unterbreche mein Bauprojekt und priorisiere Care-Arbeit.
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Ich kann am besten Bauen und Awareness kann ich gar nicht. Deswegen lege ich meinen Tarnumhang um und mache mich unsichtbar.
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Ich supporte die Idee.
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FLINTA*-Personen nehme ich im Baukontext grundsätzlich nicht ernst deshalb äußere ich die Idee nochmal aus Sicht eines Profis.
Auswertung
- 0-1x B
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Herzlichen Glückwunsch! Du scheinst auf einem guten Weg zu sein und bist nun bereit andere Baumacker auf ihrem Weg zu weniger Mackrigkeit zu begleiten! #Unbezahlte Bildungsarbeit
- 2-3x B
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Du bist der klassische Durchschnittsmacker. An dich haben wir uns leider längst gewöhnt. Es liegt in deiner Verantwortung dies zu ändern!
Tipps zur Veränderung geben wir dir nicht, frag doch einfach mal rum, das kannst du doch so gut. - 4-6x B
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100% Baumacker. Einfach direkt den Kopf in die Kacketonne. Hierfür verschwenden wir nicht noch mehr Worte!
Lützi Infra Slang
aka Themen die uns außer Mackern regelmäßig beschäftigt haben
Wenn ihr von oben nach unten, von unten nach oben, von links nach rechts und von rechts nach links sucht, könnt ihr insgesamt 37 Wörter finden, mit denen ihr dann definitiv mitreden könnt im Lützi Infra Kosmos ☺
Struktur-Beschreibung: KüfA
Küche für Alle – aber auch von allen?
L.
Note
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Dieser Text handelt von der KüfA-Struktur in Lützerath von Oktober 2021 bis August 2022. Davor und danach gab es noch andere Phasen, aber dazu weiß ich persönlich nicht genug. |
Oktober 2021-Februar 2022: Feste KüfA
Die große KüfA, die für die Festivals aufgebaut wurde, blieb stehen – schließlich gab es den ganzen Winter über eine ständige Räumungserwartung. Nach und nach konnten die Menschen des Küchenkollektivs nicht mehr in Lützi bleiben, dafür wurden andere Menschen, die dauerhaft vor Ort lebten, eingelernt und übernahmen schließlich die Küche. Es war ein relativ festes Team, dass sich um alles kümmerte. Dafür gab es verschiedene Gründe:
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Corona – es wäre sehr anstrengend gewesen, den ganzen Tag im Küchenzelt Maske zu tragen.
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Sonstige Hygiene – Das Risiko, über das Essen Magen-Darm etc. zu verbreiten sinkt, wenn weniger Menschen damit hantieren - und es ist klar, wer fürs sauber halten zuständig ist.
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Equipment – die Geräte der Großküche sind zum Teil gefährlich oder gehen leicht kaputt, wenn keine ordentliche Einarbeitung stattfindet.
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Lager- Überblick - Planung und Einteilung der Vorräte, Resteverwertung, Nachbestellung.
Es gab vom Dorf zu füllende Spül-, Ausgabe- und Schnippelschichten, der Rest wurde vom KüfA-Team erledigt. Es gab zuverlässig zu festen Zeiten dreimal täglich warmes Essen für alle. Außerhalb der Essenszeiten gab es kein Essen (außer freegane Teilchen) und nur das Küchenteam hatte Zugang zu den Lebensmitteln (aus Hygienegründen und um das Lager so ordentlich zu halten, dass die KüfA arbeitsfähig blieb).
Februar- August 2022: „Kollektive Verantwortung“
Als klar war, dass die Rodungssaison vorbei war, entschied sich das Küchenkollektiv, sein Equipment abzubauen. Es erfolgte eine komplette Umstrukturierung, die Küche zog in den „Küchenpalast“/ die „Unräumbar“ auf dem unteren Teil der Wiese um. Kochen wurde zur kollektiven Aufgabe und die Mahlzeiten schichtenweise verteilt. Es gab immer wieder Ansätze, dass Menschen Verantwortung für die restlichen Aufgaben der Küche übernehmen, was aber nie längerfristig funktioniert hat. Am Anfang wurde noch dreimal täglich gekocht, irgendwann nur noch einmal, sehr unterschiedlich zuverlässig. Die Vorräte waren zu jeder Zeit für alle zugänglich. Der Hygienestandard sank signifikant.
Reflektion
Ich war von November bis Februar Teil des Küchenteams in der großen Küche. Inzwischen hinterfrage ich durchaus einiges an dieser Zeit. Auf der einen Seite die krassen Hierarchien, die entstanden sind, weil wir zu jeder Zeit Zugang zu allen Lebensmitteln hatten und andere nicht („die KüfA privatisiert die Brötchen!“). Auf der anderen Seite den Druck, den wir uns selbst gemacht haben (weil wir durch die professionalisierte Situation, in der wir eingelernt wurden, einen sehr hohen Anspruch an uns selbst hatten) und die starke Arbeitsbelastung auf wenigen Schultern. Nicht selten fingen die Tagen mit Frühstück machen um 7 Uhr an und endeten erst um 22 Uhr, wenn die Küche aufgeräumt war. Rückblickend eine absurde – und ungesunde! - Situation, die dadurch entstanden ist, dass wir konstant dachten „Die eine Woche bis zur Räumung können wir das jetzt auch noch so machen“. Wir waren die gesamte Zeit ein überwiegend bis reines FLINTA-Team – was die Arbeit angenehm gemacht hat, aber auch sehr bezeichnend ist. Ich hoffe sehr, anderen Menschen durch das geregelte Essensangebot über den Winter Sachen ermöglicht zu haben – immerhin wurden zwei Häuser besetzt.
Es wurde uns vorgeworfen, dass wir Menschen unselbstständig machen durch unsere „Serviceleistungen“. Es wäre doch viel besser, wenn die Küche in kollektiver Verantwortung läge. Diese Vorwürfe machen mich immer noch wütend:
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Die Küche war immer in kollektiver Verantwortung. Wir haben oft genug transparent gemacht, dass wir Unterstützung brauchen, aber unser Bedürfnis nach ein bisschen Commitment (mind. 1 Woche bleiben zum Einlernen), hat schon viele abgeschreckt. Und mit zu wenigen Menschen wird natürlich das nötige Commitment auch immer größer, weil die Arbeit halt gemacht werden muss…
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Wir mussten uns oft zusätzlich auch noch darum kümmern, dass die Schnippel- und Spülschichten besetzt wurden, weil es „kollektiv“ nicht funktioniert hat.
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Nach der Umstrukturierung der Küche habe ich wiederholt versucht, die KüfA gut in kollektive Verantwortung zu übergeben. Ein Team, dass sich zu Beginn gebildet hat, um Orga-Verantwortung für die Küche zu übernehmen, schmiss nach zwei Wochen das Handtuch, ohne das zu kommunizieren.
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Auch mit der Verantwortung, KüfA-Skillshares anzubieten, um neuen Menschen das Kochen zu ermöglichen, habe ich mich längere Zeit ziemlich alleine gelassen gefühlt.
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Die Kochschichten, die idealerweise von allen wechselnd besetzt werden sollten, wurden dann doch immer wieder von den gleichen Leuten erledigt, weil sich viele gar nie eintrugen.
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Das mit dem Hierarchie-Abbau ist so eine Sache. Ja, die Hierarchie zwischen dem KüfA-Team und allen anderen wurde durch die Umstrukturierung abgebaut. Mitabgebaut wurde die Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit der Mahlzeiten für alle, was krasse Hierarchien schafft: Wer hat private Kochmöglichkeiten, Zugang zu Lebensmitteln oder der Mobilität zum Einkaufen, Kontakte im Dorf,…
Was ich damit sagen will: Ich würde die KüfA auf keinen Fall nochmal für einen längeren Zeitraum so organisieren, wie sie über den Winter war. Aber das mit der kollektiven Verantwortung, von der alle reden, ist in der Realität oft eine Enttäuschung und führt zu großer Arbeitsbelastung bei denen, die sich kümmern. Am Ende waren es auch in der „kollektiven“ Phase immer einzelne Menschen, die viel Arbeit und Liebe in die KüfA gesteckt haben, um den Betrieb nur irgendwie am Laufen zu halten. Wenn es ständig an Kapazitäten für den KüfA-Betrieb mangelt, sollten wir dringend mal unsere „kollektiven“ Prioritäten überprüfen!
Ähnliches war übrigens auch bei anderen Strukturen und AGs zu beobachten. Ihnen wurde vorgeworfen, Hierarchien zu schaffen - teilweise bestimmt zu Recht - aber als sie sich aufgelöst hatten, wurden die Sachen halt nicht mehr erledigt.
Was wäre ein möglicher Lösungsansatz? In einer frühen Version dieses Textes schlug ich vor, AGs als „Organisationsräume“ zu definieren. Um sowohl wegzukommen von „Die Infra-AG kümmert sich sowieso, damit habe ich nichts zu tun“ als auch von „Das könnte doch jetzt jede*r machen, also warum sollte ich es tun?“ Sondern AGs zu schaffen, die sich um Sachen kümmern, aber die für alle offen sind (nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch). Und bei denen klar ist: Es ist unsere kollektive Verantwortung, dass genug Menschen Teil dieser AGs sind! In der kollektiven KüfA gab es dann zeitweise eine KüfA-Orga-AG, die ein regelmäßiges offenes Plenum hatte. Soweit ich weiß, hat das allerdings nicht oder zumindest nur für einen kurzen Zeitraum gut funktioniert… Deshalb bin ich bei dieser Frage ratlos.
Was mich prinzipiell an Lützi frustriert:
Genau diese Frage nach der Verantwortung und wer sie trägt. So viele Menschen hier wollen autonom und selbstbestimmt ohne Hierarchien leben. Aber zu Selbstbestimmung gehört Selbstorganisation und die funktioniert nur, wenn alle gemeinsam Verantwortung übernehmen – für Aufgaben, für Prozesse und füreinander. Viel zu oft bleiben Aufgaben offen oder an denen hängen, die immer über ihre Limits gehen, damit wichtige Sachen erledigt werden. Mir ist unklar, wie wir diese Situation ändern können. Braucht es mehr An-die-Hand nehmen, damit Menschen Verantwortung lernen können? Oder vor allem ein paar kräftige Tritte in Hinterteile? Einen Streik? Einen Aufstand? Ich bin offen für Vorschläge!
- für Großmutter Lützi - notre dame dans les arbres
weihte und radikalisierte unsere Gedanken für zwei Jahre Verließ uns allzu früh.
Warning
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Räumung |
Lützerath, ein besetztes Dorf an der Kante des Garzweiler II Tagebaus. Aktivisti, eingeladen von seinem letzten Landwirt, Eckhardt Heukamp, haben die verlassenen Gebäude neu-besetzt, bewohnen das Dorf in selbstgebauten Hütten und Baumhäusern. …und blockieren so die Förderung und Verbrennung von 1,5 Mio Tonnen Braunkohle durch einen der ‘Großen 4‘ Deutschlands‘ Energiekonzerne RWE.
Die Besetzung verlieh ihre Stimme einem Rückgrat lokaler Initiativen im Existenzkampf mit dem Konzern seit Jahrzehnten …Das Zeugnis verwitterter roter Schilder, an jedem Ortseingang - “JA zur Heimat - STOP RHEINBRAUN – wir bleiben hier“ Ganze Dörfer verlassen, nur die Letzten verblieben - sei es Sturheit oder bloße Verzweiflung - in einer Geisterstadt leerer Häuser gefüllt mit dem Geruch fremder Erinnerungen Verwelkt unter den Ranken überwachsener Vorgärten Nachts wach im Bett, Grübeln über deine notwendige Umsiedlung Und den Tag, an dem sie dein Haus abreißen werden Alltägliche Leute, die ihre toten Mütter aus ihren Gräbern hoben 1000 Jahre alte Kirchen abrissen Um zu sehen wie der Ort ihrer Geburt verschluckt wurde von einem Loch 4800 Hektar weit und ihre Kinder atmen den Staub. Was bedeutet eine gesamtgesellschaftliche Bewegung? Ihre Schichten zu überwinden? Ihre Barrieren zu durchbrechen? … - Es bedeutet endlose Debatten über Strategie Großmutter Lützi: Pazifistisches Paradebeispiel oder Mutter entmackerter Militanz? Gut situierte StudentInnen, neben Menschen – auf der Straße wäre es nicht für diesen Ort Leute die alles stehen und liegen ließen um für die ArbeiterInnenklasse zu kämpfen! …bevor sie realisierten dass sie angeekelt waren von deren unüberlegten Bemerkungen und Wortwahl… Ein queerfeministisches Hausprojekt und ein katholischer Pfarrer hält auf der Straße spontan einen Gottesdienst um sie vor der Polizei zu blocken Das Ende von Patriarchat und Neo-Kolonialismus zusammen mit Klimaschutz im Namen der Schöpfung - ein Banner genagelt an die verschlossene Pforte der verlassenen Kirche: Jesus würde die Kohle unter der Erde lassen Gottverdammt richtig würde er das der Cutie! … Was also bedeutet eine gesamtgesellschaftliche Bewegung? Eine Mannigfaltigkeit von Widersprüchen Es bedeutet, irgendjemand muss immernoch für alle kochen… Doch schallen die Dissonanzen aneinander und formen eine Symphonie der Empörung übertragen an die größten Antennen die sie finden konnten: Hundert Meter hohe Schaufelradbagger verschlucken die Erde die ihnen im Halse steckenbleiben sollte Ein paar vermummte Gestalten stehend an ihrer dystopischen Kante hissen die schwarze Flagge von einem einsamen Baumhauspfahl Starren zurück auf diese gigantisch insektoiden Kreaturen Sie kriechen durch ihre Schlucht mit der seltsamen Anmut von Walen, gesehen von Unterwasser Relikte einer anderen Zeit… heben unsere Zukunft aus den Angeln 17 Uhr – Manche schütteln ihren Kopf erschöpft nach 3 Stunden Dorfplenum Manche selbst noch erschöpfter rollen eine Tüte hinter dem Pool Mein Kaffee an der Kante ist schon kalt. Starrend auf die unendlichen Weiten von Garzweiler II halbiert von zärtlich gleichgültiger Abendsonne …Nicht mehr sicher, ob ich es bin der im Koffeinschub zittert oder der Boden der mit jedem Tag unter unseren Füßen bröckelt Ich erinnere mich an manche Tage im Sommer, es waren vielleicht 20, 30 Leute… …dass vielleicht 50 Menschen, in einem Dorf in der Tiefe NRWs 35 000 mobilisierten durch dessen Regen wie Milch und Matsch wie Honig zu stapfen ihre Zukunft zurückverlangend von jenen die sie mit einer Hypothek belegten Aber wie viele braucht es? 50 000? 100 000, 500 000? Mit welcher Formel lässt sich politischer Protest quantifizieren damit institutionalisierte Demokratie funktioniert? …. „Aber Schätzchen… Die Flüsse von Milch und Honig sind ausgetrocknet –“ und nun verkaufen sie ihren Staub an Konsumenten Übersee“ Nun, da der Januar das Rascheln von Blättern tauscht für das Rattern von Schlagstöcken Und der Frühlingswind trägt Pfefferspray statt Pollen entleere ich den Inhalt meiner Hosentaschen, für den maskierten Polizisten. Meine Träume voll von Product Placement Meine Taschen voll von Laub …Als ich sie leere nichts als verwelkte Blätter, rot und schwarz streifen die Erde und verlieren sich im Wind An den Kanten des Tagebaus, wächst nur noch das raueste an Unkraut Spreizt seine Dornen wie Flügel in einem Klima so widrig alle verbliebene Fauna, von Schleiereulen bis Rebhühnern sammelte sich in den letzten Büschen dieses Dorfes Eine Insel des Widerstand umgeben von Staub und Monokultur So werden wir wachsen. Wie diese Disteln im Staub der Grube Wie die Kronen von Bäumen brechend durch die eingefallenen Dächer verlassener Fabriken Wie Unkraut zwischen den Ziegeln. Was auch immer folgt, wird kommen wie die Fliege die die Asphaltsümpfe überlebte, indem sie lernte ihre Eier im Teer zu brüten "They tried to bury us, they did not know we were the seeds[1]" …und die Sintflut wird durstende Samen nur wässern
Sehnsucht
Und du gehst. Und du fehlst. Und du gehst in ein Leben, In dem ich nicht fehl. Fehl am PLatz wär. Ich gehe durch das Dorf. Und sehe uns’ren Ort. Mach noch einen Schritt, Spring in der Zeit - zurück. Du hier. Bei mir. Doch eigentlich nicht hier, Denn du sitzt in deinem Zimmer, Vor deiner weißen Wand. Und ich leb hier uns’ren Kampf. Welten zwischen uns. Warten auf Vernunft.
Geschichte der Awareness-Strukturen in Lützerath
In diesem Text versuche ich die Geschichte der Awareness-Strukturen in Lü zu rekonstruieren und zwar vor allem anhand gesammelter Informationen aus Gesprächen mit Menschen, die in Lü früher oder später im Awareness-Team oder später Teil des Check-In-Gruppen Deli-Plenums oder der Prozessbegleitung waren oder im UAC Awareness-Arbeit geleistet haben.
Der Text zeichnet den Aufbau der Awareness-Arbeit nach, aber auch, wie diese in die Krise geriet und wie daraufhin neue Strukturen etabliert wurden. Diese Geschichte soll Erkenntnisse aus Lü für andere Kontexte zugänglich machen.
Awareness zu Beginn von Lützerath
Zu Beginn, als es in Lü nur die Mahnwache und eine Zeltwiese gab und zwischen 20 und 50 Menschen den Ort belebten, geschah Awareness meist spontan. Menschen fühlten sich tendenziell verantwortlich für das, was sie mitbekamen und kümmerten sich, wann und wo es nötig war. Nach ein paar Wochen/Monaten wurden Awarenessschichten auf dem tägliche Reproboard hinzugefügt und wurden so jeden morgen zwischen allen Menschen verteilt, zum Teil blieb die Schicht aber auch unbesetzt.
Kuloko und Beginn des Awareness-Teams im Sommer 2021
m Vorfeld des Kuloko (Festival Kultur ohne Kohle, Sommer 2021) fanden sich dann Menschen zusammen, die für das Festival ein Awareness-Konzept erarbeiteten. Für das Festival bildete sich ein Awareness-Team mit aufgeteilten Schichten und es wurden Hütten gebaut: Eine BIPOC Hütte, ein Neurodivergenz Safer Space und ein Flinta* Bauwagen. Vieles der Awareness-Arbeit des Festivals wurde nach Ende des Festivals beibehalten: Das Awareness-Team blieb bestehen und auch die Hütten gab es weiterhin.
Wann genau sich das BIPoC Awareness-Team gründete und wie dessen Verhältnis zum überwiegend bis ganz weißen Awareness-Team war, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen. Ich versuche es weiter. Was Lü betrifft, kann ich daher an dieser Stelle bisher nur schreiben, dass das BIPoC Awareness-Team aus der Perspektive weißer AwarenessMenschen ein kleines Team sehr engagierter und sehr kontinuierlich arbeitender Menschen war, die teils zugleich auch im anderen Awareness-Team mitarbeiteten.
Ab der Kuloko gab es also mindestens ein Awareness-Team. Im Gefühl einiger Menschen hat das allerdings auch eine Hürde gesetzt: Als gäbe es eine Art geheimes Awareness-Wissen, was Menschen brauchen, um im Awareness-Team aktiv werden zu können. Es gab Onboarding-Versuche, aber auch immer wieder Hierarchie-Kritik. Menschen hatten den Wunsch, einzusteigen und Menschen, die bereits im Awareness-Team waren wussten nicht, wie sie neben all ihren anderen Aufgaben die Zeit aufbringen sollten, ihr Wissen gut weiterzugeben, gerade auch, da vieles davon Erfahrungswissen war. Menschen, die wenig Einsicht in die tägliche Arbeit des Awareness-Teams hatten, kritisierten die Struktur, auch wegen der Macht, die das Awareness-Team über die Ausschlussverfahren ausübe. Das Awareness-Team fand es nicht leicht, sich zu 98 Geschichte der Awareness-Strukturen in Lützerath der Kritik zu positionieren. Es versuchte ständig, für Transparenz und Hierarchieabbau zu sorgen, war damit jedoch nicht immer erfolgreich.
Längerfristige Fallarbeit gab es schon, bevor sich Menschen intensiver mit Transformative Justice Ansätzen auseinandersetzten. Das Problem dabei war jedoch immer der eher häufige Wechsel der Menschen in der Besetzung und es kann schwerer sein, an einem bedrohten Ort in diese längerfristige Arbeit einzusteigen. Aus dieser Situation kam es immer wieder zu Rausschmissen, da Menschen keine Kapazitäten hatten, Fälle längerfristig zu begleiten und es selbst mit Kapazitäten auch immer wieder Menschen gab, deren Begleitung das Wissen der Awareness-Menschen überstieg und die Sicherheit von Betroffenen gefährdet hätte. Es gab aber auch Fälle, die sogar über mehrere Jahre und auch über die Besetzung hinaus bearbeitet wurden. Fallarbeit verschiedener Art wurde ein Kernaufgabenbereich des Awareness-Teams.
mmer mehr Aufgaben landeten beim Awareness-Team, neben der Fallarbeit auch Diskriminierungssensibilisierung durch Bildungsarbeit und Prävention. All das bedeutete, sich mit sehr vielen Themen beschäftigen zu müssen – ein hoher Anspruch, dem Menschen so nie völlig gerecht werden konnten. Bedingt durch die Themen, mit denen sich Menschen beschäftigten, standen manche Themen stärker im Fokus als andere. Feministische Themen und Rassismus waren stärker Thema, während Klassismus, Ableismus und Neurodivergenz immer wieder hinten runter fielen. Gerade bei Fällen, in denen unterschiedliche Betroffenheiten involviert waren, wurde dies zum Problem und führte teils auch dazu, dass es zu polarisierten Täter-Opfer Zuschreibungen kam, wo ein Blick für die Komplexität des Falls gefragt gewesen wäre. Verstärkt wurde diese Tendenz, je mehr Menschen sich zu dem Fall positionierten, ohne vom Geschehen direkt mitbekommen zu haben oder ausreichend informiert zu sein. Menschen fragten sich, wie Prozesse fair gestaltet werden können, wenn manche Menschen sich besser ausdrücken können als andere, manche einen akademischen Hintergrund haben, andere nicht und auch die Szene-Codes nicht kennen. Auch wurden neurodivergente Personen, die z.B. Autismus oder ADHS haben und sich mitunter weniger gut selbst regulieren können, teils einfach wegmoderiert. Menschen hatten zudem teils den Eindruck, dass Beschwerden generell im Dorf beliebter Menschen teils ernster genommen werden als Beschwerden von Menschen, die häufiger aneckten.
Manchmal hinterließen Menschen, die Lü verließen, Briefe, in denen sie Missstände anprangerten, beispielsweise in Bezug auf Ableismus bezüglich Neurodivergenz. Die Dorfgemeinschaft beschäftigte sich mit dem Brief dann auf einer eigenen Vollversammlung, in der dieser gemeinsam gelesen wurde und besprochen wurde, wie es dazu hatte kommen können. Menschen richteten als Struktur für Feedback an das Awareness-Team einen Briefkasten ein und die Nachrichten und Briefe daraus wurden im Awareness-Plenum oder mit Einverständnis im Dorfplenum besprochen. So setzte sich das Awareness-Team z.B. auf Kritik hin intern mit Antisemitismus auseinander.
Das Awareness-Team bemühte sich weiter und blieb in unterschiedlicher Ausprägung mit unterschiedlichen Menschen viele Monate bestehen. Die Hütten, die für die Kuloko gebaut worden waren, wurden allerdings primär dann verstärkt verwendet, wenn Betroffene selbst die Initiative ergriffen. Besonders die BIPOC Hütte wurde zeitweise rege genutzt, auch für Community Arbeit. Der Flinta* Bauwagen diente häufig eher als Rückzugsort. Unklarheiten und Intransparenz bezüglich der Nutzung der Orte führte dazu, dass sie teilweise wenig oder kaum verwendet wurden und zum Teil verfielen oder nicht mehr einladend und bedürfnisgerecht gestaltet waren. So hat der Neurodivergenz-Safer Space geschimmelt, anderswo gab es laute Umgebungsgeräusche.
Bildungsarbeit geschah häufig durch besonders engagierte Einzelpersonen, die Treffen einberiefen, Ressourcen teilten oder sich um die antirassistischen Leseecken kümmerten.
Awareness-Bemühungen allgemein im Dorf
Nicht nur die Awareness-Teams kämpften im Dorfalltag gegen Formen von Diskriminierung. Manche Gedenkstätten in Lü sowie manche Demos, Workshops und Ausstellungen waren insbesondere dazu da, antikolonialistische und antirassistische Kämpfe zu zentrieren. Immer wieder wurden dazu auch Communities und Bewegungen eingeladen (internationalistische, kurdische, zapatistische etc.), die entscheidende Impulse setzten.
Schriftzüge auf Wänden, Türen, Bannern und auf Patches wie „Heute schon Repro gemacht?“ oder anti-Macker Sprüche, sowie der Awareness-Input, den es eine Zeit lang zu Beginn jedes Plenums gab, erinnerten im Alltag an feministische und antirassistische Kämpfe und eigene Ansprüche der Besetzung.
An der Mawa gab es mal die Initiative zu einem KlassismusAustausch – ein Thema, das in Lü vielfach unsichtbar und unbesprochen blieb. Es gab eine Soli-Socke, aus der auch immer wieder Menschen kurzfristig Geld bekamen, doch waren die Lü-Finanzen sonst für den Großteil verborgen und insgesamt Geld und Zugang zu Ressourcen außerhalb von Lü sehr intransparent und auch ungleich verteilt. Manche Menschen hatten ein Gehalt, Vermögen und/oder einen Ausweichort außerhalb von Lü, andere nicht, manche hatten Zugang zu einer Waschmaschine an einem nahe gelegenen Ort, andere nicht. Manchmal trat dies zu Tage, manchmal nicht.
Im Sommer 2022 richteten einige Menschen auf Signal eine Gruppe ein, die dabei half, Strukturen physisch barrierearm, beispielsweise Rolli-zugänglich zu machen. Es gab ein barrierearmes Klo, zeitweise eine Rolli-Rampe und im Erdgeschoss der Villa waren Rolli-zugängliche Schlafund Aufenthaltsorte. Sonst waren viele Strukturen nicht zugänglich oder mussten mit mehr Aufwand zugänglich gemacht werden, wozu sich eben diese Gruppe gründete.
Sprachliche Barrieren wurden zumindest in Plena allgemein durch Flüsterübersetzungen ins und aus dem Deutschen oder Englischen abgebaut – je nachdem, was gerade Plenumssprache war.
Zu Drogen-Awareness gab es hin und wieder Diskussionen und eine Gruppe wollte dazu etwas erarbeiten. Weil es diese Gruppe bereits gab, die etwas erarbeiten wollte, endete die Diskussion mit dem Verweis auf diese Gruppe in der Regel wieder, die Gruppe schaffte es aber nie, tatsächlich ein Konzept zu erarbeiten. Was es gab, waren drogenfreie Zonen, sowohl im Dorf als auch auf Veranstaltungen. Jedoch war der Umgang mit dem Thema nicht immer leicht, denn es lebten in Lü zeitweise sowohl Menschen, die alkoholabhängig waren als auch trockene Alkoholiker*innen.
Für einige Zeit gab es regelmäßige Bezugi-Findungstreffen und viele Bezugis waren in vielen Belangen füreinander da. Darüber hinaus gab es immer wieder mal für eine Zeit lang mal hier einen antipatriarchalen Lesekreis, dort eine kritische Männlichkeitsrunde und hier ein Reflexionstreffen zu kritischem Weißsein. Diese Strukturen wurden oft von Einzelpersonen initiiert und gehalten, wodurch ihr Fortbestand oft von dieser einen oder wenigen Personen abhängig war. Einen Zettel auf das Programmboard zu kleben, reichte nicht, wenn keine Menschen die für das Treffen erforderlichen Vorbereitungsarbeiten übernahmen.
Flaute und Wechsel im Awareness-Team
Nun zunächst einmal zurück zum Awareness-Team. Als Ausgleich für die oft anstrengende Awareness-Arbeit gab es im Frühling 2022 zwischendurch einen „Awareness-FunDay“, der sich aber nicht bis zum Sommer hielt.
Vom Winter 2021/22 zum Sommer 2022 gab es im Awareness-Team allgemein einen größeren Wechsel an Menschen. Es gab nur wenige Menschen, die über die bisherigen Fälle bescheid wussten und es gab quasi keine Wissensvermittlung. Langfristige Fallarbeit hing teils in der Luft und es gab auch keine Übersicht über bestehende Fälle oder wer gerade woran arbeitete. Die verbliebenen Menschen im Awareness-Team suchten nach neuen Menschen, die mit in die Awareness-Arbeit einsteigen würden.
Alltag des Awareness-Teams im Sommer 2022
Im Sommer 2022 war das Awareness-Team sehr klein. Das On-Boarding bestand mitunter aus der Lektüre eines Texts zum Thema Definitionsmacht – und dann learning by doing. In der Regel sah die Tätigkeit der Awareness-Menschen folgendermaßen aus: Menschen in Lü teilten Awareness-Menschen Probleme mit, woraufhin diese die entsprechenden Menschen aufsuchten und versuchten, ins Gespräch zu kommen. Außerdem war rund um die Uhr immer ein Mensch über die Awareness-Funke auf dem Awareness-Kanal und über das Awareness-Handy erreichbar. Hierfür wurden Schichten eingeteilt. Darüber hinaus gab es das zwei bis dreistündige Awareness-Plenum, das prinzipiell für alle offen war. In diesem Plenum checkten Menschen ausführlich ein, besprachen länger Organisatorisches, beispielsweise zu Party-Awareness und tauschten sich gegen Ende über den Fortgang einzelner Fallarbeit aus. Letzteres wurde nach einiger Zeit zum Teil weggelassen, da die Plena zu lang wurden und die Energie dafür am Ende fehlte.
Die vom Awareness-Team bearbeiteten Fälle umfassten unter anderem Fälle von sexualisierter Gewalt, Rassismus, persönlichen Konflikten und problematischem Verhalten unter Einfluss konsumierter Substanzen. Bei besonders schwierigen Awareness-Fällen erhielt das Awareness-Team teils Unterstützung durch Langzeit-Lü-Menschen, die viel Erfahrung mitbrachten. Sie waren häufig nicht Teil des Awareness-Teams, das die alltäglichen Aufgaben bewältigte und diesem teils auch gar nicht bekannt, sprangen aber an einzelnen Stellen ein oder waren in von den alltäglichen Awareness-Aufgaben losgelösten transformative justice Prozessen, also längerfristige Arbeit mit einzelnen Fällen involviert.
Fallarbeit und vor allem die längerfristigen transformative justice Prozesse fanden oft eher im Verborgenen statt, in der Regel auf Wunsch beteiligter Personen. Dadurch blieb jedoch auch eher verborgen, wo sich Fälle häuften und einmal war es die Initiative einer betroffenen Person, die ermöglichte, dass sich mehrere Menschen trafen, die von den Handlungen ein und derselben Gewalt ausübenden Person betroffen waren, und sich so auch gemeinsam austauschen und mit Awareness-Menschen über das Weitere beraten konnten. In einigen Fällen wurden allerdings mehr Kapazitäten darauf verwandt, mit der Gewalt ausübenden Person zu arbeiten, als die betroffene Person aufzufangen.
Einmal gab es eine Vollversammlung zum Thema sexualisierter Gewalt mit einer anschließenden Runde zum persönlichen Austausch. Das war für manche ein sehr wichtiger Moment, dieses Zusammenkommen und einander Zuhören, um erlebte Dinge auf eine Art auch gemeinsam zu verarbeiten.
Danach lebte der Flinta* Brunch auch noch einmal deutlich auf, bei dem sich Menschen über ihre Erfahrungen in Lü austauschen konnten – zumindest war das die Idee, und die Hoffnung einiger war auch eine bessere Flinta*-Vernetzung und dass sich Menschen besser gegenseitig auf dem Schirm haben. Das klappte bedingt, da die Bedürfnisse an den Flinta*-Brunch unterschiedlich waren und es für manche primär ein Ort tiefer gehenden Austauschs, für mache primär ein Ort spaßigen Zusammenseins war. Zu einer verbindlichen Flinta*-Organisierung kam es jedenfalls nicht. Bezüglich des TIN-Cafés waren die Erfahrungen teils ähnlich. Dennoch fanden Menschen es gut, dass es diese Orte gab.
Die Hauptverantwortung für Awareness blieb neben den Bezugsgruppen primär beim Awareness-Team. Nur bei besonderen Veranstaltungen wie Camps haben die Orgas, die diese organisiert haben teils selbst ein Awareness-Team für den Rahmen der Veranstaltung gestellt. Das war z.B. beim Mastamo der BUND Jugend NRW im August 2022 der Fall.
Zur internen Weiterbildung stand dem Awareness-Team langfristig ein Awareness-Laptop mit einer ganzen Reihe von Texten zur Verfügung, jedoch kamen Awareness-Menschen kaum dazu, diese gemeinsam zu lesen.
Eine besondere Wissenslücke bestand dabei beim Thema psychische Erkrankungen. Meist wurde sich damit nur im Rahmen konkreter Vorfälle befasst. Doch hatte das Awareness-Team immer wieder mit Menschen zu tun, die bipolar, depressiv, selbstverletzend, substanzkonsumabhängig oder suizidal waren. Manche Menschen haben regelmäßige Unterstützung durch das AwarenessTeam bekommen. Manche Menschen im Awareness-Team boten manchen Menschen sogar ein wöchentliches Gesprächstreffen an, um Menschen emotional aufzufangen.
Der Umgang mit verhaltensauffälligen Menschen war immer wieder schwierig und überfordernd. Beispielsweise können manche Menschen ihre Bipolarität gut navigieren, andere werden in bestimmten Phasen immer wieder ausschreitend und übergriffig. Eine Person wurde vor diesem Hintergrund auch ausgeschlossen. Besetzungen sind generell Orte, an die neben politischen Gründen Menschen auch aus Perspektivlosigkeit kommen oder weil sie durchs Raster des Staates und der Gesellschaft fallen. Eine Diskussion über einen generellen Umgang und damit, was die Besetzung hier leisten kann und was nicht, gab es jedoch nicht.
Dynamiken, die sich entwickelt haben und der Weg in die Krise
Lange Zeit war nicht klar abgesteckt, was zur Verantwortung des Awareness-Teams gehörte, was dazu führte, dass der Kreis der an das Awareness-Team delegierten Aufgaben immer größer wurde: Von Fallarbeit über Party-Awareness, rund um die Uhr Erreichbarkeit für emotional first-Aid, über emotionale Arbeit im weiteren Sinne, Präventionsarbeit, Bildungsarbeit, Hilfe bei der Klärung von Konflikten bis hin zu genereller Ansprechbarkeit bei offenen Fragen dehnte sich der Aufgabenbereich des Awareness-Teams aus, ohne dass die Anzahl der verantwortlichen Menschen zunahm.
Der Anspruch an Awareness-Arbeit war hoch, die kollektive Verantwortung teils eher gering. Zwar geschah viel emotionale Arbeit auch innerhalb von Bezugsgruppen, doch insbesondere Flinta* Personen im Awareness-Team wurden sehr häufig von Personen aus Lü aufgesucht, die über ihre Gefühle sprechen wollten. Auch begann Fallarbeit teils so, dass ein Mensch auf eine Awareness-Person zukam, etwas schilderte und darum bat, dass da „etwas gemacht“ würde, der Mensch wollte das aber nur delegieren und sich selbst nicht weiter damit beschäftigen.
In der Folge verbrachten Awareness-Menschen viel Zeit damit, die betreffenden Menschen zu suchen, um Fallarbeit überhaupt aufnehmen zu können. Nicht immer waren die Menschen auffindbar, nicht immer waren die Menschen bereit zu sprechen, nicht immer gab es einen ruhigen Rahmen, um zu sprechen, und nicht immer blieben die Menschen lange oder durchgängig in Lü, weshalb das Awareness-Team immer wieder darüber diskutierte, wann überhaupt Fallarbeit aufgenommen werden sollte und wann eine Gewalt ausübende Person schlicht gebeten werden sollte zu gehen, wenn die Person sowieso nur noch wenige weitere Tage geblieben wäre.
Der Gedanke war, dass zwei oder mehr Menschen aus dem Awareness-Team gemeinsam einen Fall übernehmen, in der Praxis übernahmen aufgrund der geringen Größe des Awareness-Teams häufig einzelne Personen einen Fall. Das führte mit dazu, dass es kein oder kaum TeamGefühl im Awareness-Team gab. Auch konnte es so schneller zu Überforderung kommen – auch, weil nicht immer von vornherein absehbar war, als wie groß oder tiefgehend sich das Problem herausstellen würde. Darüber hinaus waren teilweise nur wenige oder nur ein Mensch mit Erfahrung im AwarenessTeam, während alle anderen neu waren. In aller Regel gab es weder Supervision noch systematische Koordination der Fallarbeit, was es schwer machte, den Überblick zu behalten oder zu gewinnen oder im Fall von Überforderung Unterstützung zu bekommen.
Auch war sich das Awareness-Team intern nicht immer einig. Gerade wenn neue Menschen kurzzeitig ins Awareness-Team kamen, die ihr Verhalten, beispielsweise als cis-männliche Person, noch wenig selbst reflektiert hatten, entwickelten sich dabei mitunter auch patriarchale Dynamiken innerhalb des Awareness-Teams.
Die dauernde Erreichbarkeit stellte eine enorme Anstrengung dar, da sich nicht ausreichend Menschen die Schichten aufteilen konnten und sich zudem manchmal Menschen bei der NachtAwareness im Funkkanal verwählten. Doch auch jenseits der Schichten war es für die Menschen im Awareness-Team mitunter schwierig, die Awareness-Brille überhaupt abzulegen. Durch die vielen ihnen anvertrauten Geschichten wussten sie vieles, was in Lü schief lief und sahen auch vieles, was anderen vielleicht nicht unbedingt auffiel. Auch wurden sie öfter beim Pause machen oder beim Essen zu einer schwierigen Situation hinzugerufen, sodass manche Lü tatsächlich verlassen mussten, um wirklich Pause machen zu können. Besonders schwierig war es auch, wenn größere Awareness-Fälle in der unmittelbaren Wohnumgebung von Awareness-Menschen in Lü geschahen.
Auch wurden sie von anderen Bewohner*innen zunehmend mit ihrer Rolle als Teil des Awareness-Teams identifiziert und teils gar direkt als „Awareness-XY“ angesprochen. Der unklare und zunehmend größere Aufgabenrahmen entwickelte sich bis dahin, dass Menschen das Awareness-Team fragten, ob sie an diesem oder jenem Ort zelten „dürfen“ oder ob die Musik so „zu laut“ sei als wäre das Awareness-Team eine Art externe Instanz und Autorität. Durch diese Prozesse der Externalisierung und Delegation von Verantwortung entstand eine gewisse, von beiden Seiten als unangenehm empfundene Distanz zwischen Awareness-Menschen und allen anderen. Das ging bis zu einer Projektion von Autorität und Gefahr auf das Awareness-Team, das die (notwendigerweise oft) unangenehmen Gespräche anstieß. Bis dahin, dass Begriffe wie „Awareness-Polizei“ fielen, parallel zu Aussagen von „Awareness regelt das (für uns)“.
Menschen im Awareness-Team brannten aus und fielen aus, sodass die verbliebenen Menschen noch mehr Arbeit zu bewältigen hatten und noch schneller ausbrannten. Wer eigentlich keine Kapazitäten mehr hatte, konnte dem eigenen Ruhebedürfnis nicht unbedingt nachgehen, denn viele Dinge konnten nicht warten: Bei sexualisierter Gewalt in einer offenen Besetzung lässt sich die Awareness-Arbeit nicht auf den nächsten Tag vertagen. Auch stellten Menschen immer wieder die gemeinsamen Ideale (z.B. bezüglich Transformative Justice) über die eigenen Kapazitätsgrenzen. Zu Überforderung kam es unabhängig von der Gesamtverantwortungslast auch im Zuge von einzelnen besonders schweren Fällen, auf die hin manche Menschen ebenfalls das Awareness-Team verließen.
Rolle von Kritik, Reflexion und Planung in der Krise der Awareness-Arbeit
Als immer deutlicher wurde, dass das Awareness-Team sich selbst als Struktur kaum mehr erhalten kann, gaben mehrere Menschen aus dem Awarenss-Team den Impuls, in die Selbstreflexion zu gehen. Es brauchte mehrere Anläufe, bis ein Treffen dazu zustande kam, doch dann setzten sich Menschen zusammen und überlegten, was Awareness-Arbeit eigentlich ist und umfasst, wie sie es sich eigentlich vorstellen und was das in der Praxis erschwert. Sie wollten diese Arbeit fortsetzen, doch es kamen keine Menschen mehr zu den Reflexionstreffen – selbst Treffen, die dazu da waren, den Menschen im Awareness-Team selbst gut zu tun, klappten nicht mehr.
Neben dieser internen Reflexion gab es im September 2022 ein Dorfplenum mit recht vielen Anwesenden, bei dem eine Person, die nicht selbst mit dem Awareness-Team zu tun hatte, von außen die Rückmeldung gab, dass es mit der Awareness-Struktur Probleme gibt und dringend eine Vollversammlung zum Thema Awareness nötig sei. Diese Kritik von außen traf auf bereits in Gang gesetzte interne Kritik und gab den entscheidenden Anstoß dazu, den Veränderungsprozess wirklich anzugehen. Ein dem Awareness-Team externes Team fand sich zusammen, um die Awareness-Vollversammlung zu organisieren. Währenddessen und unter Einsatz der letzten Kräfte trotz teils bereits massivem Ausgebranntsein wollten die verbliebenen Menschen des Awareness-Teams einen Input für den Beginn der Awareness-Vollversammlung vorbereiten und taten dies auch, noch weit in die Nacht vor der Vollversammlung hinein. Dabei beschlossen sie auch die Selbstauflösung des bisherigen Awareness-Teams.
Mitte Oktober 2022, am Tag der Awareness-Vollversammlung, wurde das gesamte Dorf stillgelegt, es gab ein komplettes Time-Out. Die Vollversammlung dauerte den ganzen Tag. Morgens um 10 Uhr kamen die etwa 50 Menschen des Dorfes zusammen und saßen, hörten, dachten, sprachen diskutierten, planten und koordinierten bis nach Sonnenuntergang. Das bisherige Awareness-Team präsentierte die von ihnen erarbeitete Analyse der Situation und gaben auch eine persönliche Ansprache, in der sie ihre psychische Belastung sichtbar machten und aufzeigten, wie es dazu gekommen war. Der restliche Tag bestand aus vom Awareness Vollversammlungs-Vorbereitungsteam gut durchgeplanten und streng zeitlich eingehaltenen Slots, in denen – teils in Kleingruppen, dann auch wieder gemeinsam – Ideen für eine neue Awareness-Struktur gesammelt, diskutiert, konkrete Vorschläge erarbeitet, auf wenige reduziert, noch konkreter ausgearbeitet, abgestimmt und schließlich die neue Struktur bereits in Umsetzung gebracht wurde. Letzteres geschah, indem noch in der Vollversammlung Verantwortliche für die einzelnen Aufgaben und Untergruppen gesucht, die Untergruppen gebildet und bereits ins Laufen gebracht wurden. Zum Ende hin wurden es weniger Menschen und weniger Pausen, doch das Vorhaben wurde durchgezogen.
Für Menschen des bisherigen Awareness-Teams war dieser Tag eine riesige Erleichterung. Manche hatten bereits mit sich selbst ausgemacht, dass sie nicht länger in Lü würden bleiben können, wenn es nicht gelingen sollte, die Awareness-Struktur grundlegend zu ändern. Doch nach Rückkehr aus einem Aktivisti-Retreat war mindestens ein Mensch sehr begeistert davon, wie die neue Awareness-Struktur sich etabliert hatte.
Weiterentwicklung: Check-InGruppen & Aufgabenspezifische Aufteilung, ab Oktober 2022
Das Konzept der Check-In Gruppen war an das Tekmîl der kurdischen Bewegung angelehnt. Der Idee nach sollte jeder Mensch in Lützi Teil einer Check-In Gruppe sein, die sich an für alle festgelegten Tagen zwei Mal pro Woche zur gleichen Zeit trifft und in welcher Menschen füreinander sorgen und füreinander einstehen. Die Aufteilung auf die Check-In Gruppen wurde gelost, sodass die Menschen darin unterschiedlichen Bezugsgruppen und Barrios angehörten sowie unterschiedlich lang in Lü gewesen waren. Damit sollte vor allem die Verantwortung verteilt werden. Aus der vorherigen Delegation von Verantwortung an das Awareness-Team sollte kollektive Selbstverantwortung werden. Denn so konnten viele Konflikte zwischen zwei Menschen zwischen derer beider Check-In Gruppen gelöst werden, ohne extra einen Awareness-Menschen zu rufen. Oder auch überschaubare transformative justice Prozesse sollten so laufen können, dass die jeweiligen Check-In Gruppen die eine für die betroffene Person da ist und die andere mit der Gewalt ausübenden Person reflektiert. Neben den Check-In Gruppen gab es außerdem ein CheckIn Gruppen Deli-Plenum, in welchem Delegierte der einzelnen Check-In Gruppen zusammenkamen, um herauszufinden, welche Themen gerade vielleicht in vielen Check-In Gruppen Thema waren und daher im Plenum adressiert werden sollten. Oder wenn beispielsweise kaum noch Menschen zum Plenum kamen, konnten über die Delis im Check-In Gruppen Deli Plenum alle mit der Info erreicht werden, dass das Plenum wieder mehr Beteiligung braucht.
Ansonsten sollte es statt dem einen Awareness-Team die folgenden voneinander unterschiedenen Gruppen geben: Eine Emotional First Aid Gruppe (EFA) mit eigener Weiterbildung und eine Fallarbeitsgruppe, die transformative justice Prozesse koordiniert. Die beiden sollten in dem Sinne zusammenwirken, dass bei der Emotional First Aid Gruppe ein Fall reinkommt, der an die Fallarbeitsgruppe weitergegeben wird, welche wiederum die konkrete Fallgruppe ins Leben ruft und selbst als Koordinationsund Supervisionsstruktur funktioniert. Zudem sollte es eine Prozessbeobachtung geben, die immer wieder danach schaut, ob die Einführung des neuen Awareness-Konzepts funktioniert. Also ob die einzelnen Gruppen im Großen und Ganzen mit ihrer Aufgabe zurechtkommen, oder ob es Unterstützungsoder Änderungsbedarf gibt. Zudem sollte es eine Check-In-Gruppen-Koordinationsgruppe geben, die den Prozess der Check-In Gruppen begleitet und neue Menschen in Check-In Gruppen einteilt. Und eine Gruppe, die ein Awareness-Konzept mit Definitionen wichtiger Begriffe etc. verfasst. Und eine Bildungs-AG.
Auf diese Weise sollten die Probleme der vorherigen Awareness-Struktur durch kollektive Selbstverantwortung und spezifische zusätzliche Gruppen mit konkret beschränkten Aufgabenbereichen überwunden werden. Nicht alles davon konnte vollends umgesetzt werden und ins Arbeiten kommen, bevor die Räumung kam. Doch haben beispielsweise die Check-In Gruppen ziemlich gut funktioniert, auch da alle Check-In Gruppen sich zur selben Zeit trafen. Es hatte einen anti-hierarchischen Effekt, da Menschen nun auch jenseits ihrer üblichen Kreise über Emotionen redeten. Das lockerte auch die Cliquen-Bildung etwas auf.
Schwierigkeiten, Grenzen und Vorbedingungen von Check-In Gruppen
Teils gab es Unklarheiten, was in den Check-In Gruppen genau besprochen werden sollte. Und im Check-In Gruppen Deli-Plenum wurden auch viele kleine praktische Fragen besprochen, wodurch manche sich die Frage stellten, ob hier nicht eine Doppelstruktur entstanden war, insbesondere, da viele Dinge zwar ins Check-In Gruppen Deli-Plenum getragen wurden, aber dann unklar blieb, wie und von wem sie weiter bearbeitet werden sollten.
Manchmal wurde das Check-In Gruppen Deli-Plenum zu einem Ort, an dem viel Kritik und Feedback zu den allgemeinen Strukturen des Dorfs zusammenkam, jedoch gab es nicht immer genug Raum dafür und auch kam nicht alle Kritik dort an, wenn die Delis fehlten, deren Aufgabe gewesen wäre, die Kritik dorthin weiterzutragen. Auch gab es im Dorf-Plenum nicht immer Raum, um die Dinge zu besprechen, die vom Check-In Gruppen Deli-Plenum dorthin eingebracht werden sollten.
Nicht alle Menschen wollten Teil einer Check-In Gruppe sein. Das war insofern problematisch als diese Menschen somit nicht in die gegenseitige care-Struktur eingebunden waren, also keine emotionale Arbeit leisteten und möglicherweise auch keinen Zugang dazu hatten, wenn sie sie brauchten. Auch wurden Konfliktklärungen dadurch erschwert. Doch gab es keinen Zwang und so konnten die Menschen lediglich immer wieder darauf hingewiesen werden.
Intern bauten die Check-In Gruppen eine gewisse Nähe auf, in der es leichter fiel, Dinge anzusprechen. Auch durch die regelmäßige Aufforderung, etwas zu teilen, fiel es vielen leichter damit nicht allzu lange zu warten. Während das Awareness-Team zuvor jedes Mal einen neuen Fall hatte aufmachen müssen, konnten Dinge so oft einfach direkt geklärt werden. Unter anderem auch dadurch, dass sich Streitigkeiten gar nicht erst verfestigten, da sie eben früher angesprochen wurden. Die dafür notwendige Nähe benötigt eine gewisse Kontinuität der an der Check-In Gruppe beteiligten Menschen. Insbesondere längerfristig in Lü lebende Menschen hatten häufig ein Bedürfnis danach, nicht permanent mit immer neuen Menschen zu tun zu haben. Neue Menschen wiederum wünschten sich häufig auch Kontakt und Austausch mit erfahreneren Menschen. Hier galt es, ein Gleichgewicht zu finden. Ebenso galt es ein Gleichgewicht zu finden zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen an die Check-In Gruppe und die Tiefe und Ernsthaftigkeit des darin stattfindenden Austauschs. Insgesamt schien das Konzept gut zu funktionieren – so lange es eben ausprobiert werden konnte.
Fortgang der anderen neuen Strukturen und Räumungs-Awareness
Die Emotional First Aid (EFA) Gruppe hat sich viel Mühe gegeben, hatte aber Schwierigkeiten, ihre Struktur zu erhalten und daher machte sie deutlich, dass sie sich nicht um Räumungs-Awareness würde kümmern können. Die Bildungs-AG hat nicht so gut funktioniert, auch die Gruppe, die das Konzept schreiben wollte, kam nicht dazu. Die Fallgruppenkoordination koordinierte im Wesentlichen bereits existierende Fälle. Der Prozessbegleitung wiederum fiel insbesondere auf, dass dringend Überlegungen zu Räumungs-Awareness angestellt werden müssen. Wie sollte das gehen, ohne EFA? Die Prozessbegleitung überlegte sich eine doppelte Strategie: Zum einen sollte viel Backup und Support von außen kommen, koordiniert über das UAC (Unser Aller Camp, Ausweichcamp). Dort sollte eine Nummer erreichbar sein, die von Lü aus angerufen werden konnte. Für Lü selbst sollte Awareness primär über die Bezugsgruppen geschehen. Um diese darin und auch bei der Vorbereitung zu unterstützen, wurde ein Zine geschrieben und an alle Bezugis verteilt. Darin ging es unter anderem um grundlegende Kenntnisse in EFA, Möglichkeiten, in der Räumung und in der Gesa Elemente der Selbstbestimmung und Kontrolle zu behalten und sowohl Anregungen zur gemeinsamen Vorbereitung als auch zu Out of Action. Auch sollten sich alle Barrios im Vorfeld der Räumung intern treffen und darüber Gedanken machen. Manche Barrios und manche Bezugis haben beispielsweise noch eigene Out of Action Orte und Treffen für sich für nach der Räumung organisiert.
Etwa eine Woche vor der Räumung fanden an verschiedenen Orten, darunter auch Lü und UAC, Workshops dazu statt, was nach einer Räumung gut ist und wie Menschen unterstützt werden können. Auch gab es in Lü noch einen EFAWorkshop von Psychologists for Future.
Unabhängig von all dem entstand kurz vor der Räumung eine Gruppe, die sich selbst zur Aufgabe machen wollte, Räumungs-Awareness zu machen. Die Gruppe war jedoch unerfahren und hatte keine Verbindung zu Leuten, die die bisherigen Awareness-Strukturen und Prozesse kannten.
Awareness im UAC, Januar 2023
Als die Planungen für das Ausweichcamp konkreter wurden, schrieben Menschen dafür auch ein Awareness-Konzept. Dabei wurde nach den Erfahrungen in Lü ebenfalls entsprechend besonders versucht auf Kapazitätsgrenzen zu achten. Check-In Gruppen wurden in Betracht gezogen, aber schnell verworfen, da sie aufgrund der hohen Fluktuation illusorisch waren. Das Kernkonzept sollte ein sogenanntes Arreichbarkeits-Team sein. Dieses sollte direkt ansprechbar sein und die jeweiligen Anliegen direkt an jeweils weitere Gruppen delegieren, sei es die Psychologists for Future, die Schlafplatzorga, Out of Action usw. Bereits im Vorfeld haben sich Menschen darum bemüht, einen möglichst großen Pool an Psycholog*innen zu finden, die möglichst schon einmal Berührung mit dem Thema Räumung hatten und während der Zeit in Anrufbereitschaft stehen könnten. Auch für das Arreichbarkeits-Team gab es bereits online Onboardings, zu denen sich allerdings teils auch Menschen zuschalteten, die sich selbst noch sehr wenig reflektiert hatten. Zudem sollte das Awareness-Konzept aushängen und viele grundlegende, für Awareness wichtige Prinzipien erläutern, um Menschen dazu zu befähigen, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Ein wichtiger Baustein waren außerdem eine Reihe von safer spaces in eigens dafür eingerichteten Zelten: Ein Ankommenszelt für Menschen, die aus der Räumung kamen und dort etwas trinken, essen und ausruhen konnten. Ein Zelt von Psychologists for Future, eines von Out of Action und ein weiteres Awareness-Zelt. Dazu ein BIPOC Zelt, ein TINA Zelt, ein Flinta* Zelt und eines für neurodivergente Menschen. Ein Mensch hatte für all diese schon frühzeitig Couches organisiert und Tücher aus Lü hinübergerettet, sodass die Zelte gemütlich eingerichtet waren. Allerdings wurde der TINA Space vom Sturm verwüstet.
Die vom UAC Awareness-Planungsteam erdachten Strukturen haben an sich betrachtet gut funktioniert. Es gab sehr viele Menschen, die Awareness-Aufgaben übernahmen, sodass die Schichten immer gut besetzt waren. Für Menschen, die aus der Räumung kamen, gab es das Ankommenszelt, ein Lützi-Longterm Zelt sowie Austauschrunden und Körperübungen im Zirkuszelt.
Doch das UAC war kein Ort, um Leute nach einer Räumung gut aufzufangen. Viele Tausend Menschen kamen zur Demo oder für Aktionen und teils herrschte eine Flut an Reizen und eine Art Festivalstimmung, mit der diejenigen Menschen konfrontiert wurden, die gerade ihren Lebensort verloren hatten. Manche hatten einen Ausweichort in der Gegend, doch viele hatten einen solchen nicht. Einige Menschen aus Lü haben sich sofern irgendwie möglich in den UAW (Unser aller Wald, Strukturen einer schon länger bestehenden Waldbesetzung neben dem UAC) zurückgezogen, jedoch reichte der Platz dort bei Weitem nicht für alle, die ihn gebraucht hätten. Allgemeine Rücksicht auf die Situation der Menschen, die aus der Räumung kamen oder eine deutliche räumliche Trennung zwischen Ankommenden aus der Räumung und Demound Aktionsteilnehmenden wären nötig gewesen.
Lü-bezogene Awareness im Nachgang von Lü
Nicht alle Dorfbewohnis hatten jenseits von Lü einen anderen Ort. Einige Menschen wollten es sich zur Aufgabe machen, gemeinsam mit den Menschen, die das betraf, nach Möglichkeiten zu schauen. Das hat wenn, dann nicht für alle funktioniert.
Zur Unterstützung der psychischen Verarbeitung von Erlebtem gab es drei Nachtreffen, bei denen die Psychologists/ Psychotherapists for Future Gesprächsangebote machten und Austauschrunden in Kleingruppen sowie Körperübungen stattfanden. Außerdem gab es als Hilfe bei der Trauma-Bearbeitung ein viertägiges Lü-Integrations-Treffen mit Bezug zur Räumung und dem Verlust von Bezugsorten.
iele Menschen fanden individuell und kollektiv, mit und ohne Therapie kreative Wege, mit dem Verlust und Geschehnissen in der Räumung umzugehen, für viele war und ist dies jedoch ein langer und schwieriger Prozess. Nach wie vor ist es wichtig, dass Menschen vor dem Zeigen von Lü-Bildern oder dem Sprechen über Räumungsszenarien Triggerwarnungen geben und Gespräche darüber nicht ohne Absprache und zudem achtsam und bewusst führen.
Ergänzungen und Learnings
Zum Abschluss habe ich die Menschen, die ich gesprochen habe, auch nach ihren Learnings in Bezug auf Awareness-Strukturen gefragt. Zu den generellen Learnings, die noch nicht angesprochen wurden, gehört, dass es bei Awareness-Arbeit immer gut ist, mit weiteren Awareness-Strukturen vernetzt zu sein und rechtzeitig Hilfe von außen dazuzuholen. In Lü gab es Verbindungen zu Awareness-Kollektiven, Leuten, die Mediation machen, den Psychologists for Future und auch einer Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt. Das Ausmaß nötiger Fallarbeit wird oft unterschätzt. Wichtig ist auch, sich frühzeitig mit Räumungs-Awareness und Out of Action auseinanderzusetzen. Bedürfniskonflikte können immer wieder neu aufbrechen, wenn sie nicht grundlegend bearbeitet und für alle tragbare Lösungen gefunden werden. Allgemein hilft es, Konflikte und Belastungen frühzeitig zu besprechen und viel Bildungsund Präventionsarbeit zu machen, sowie immer wieder neu zu fragen, wie es um die kollektive Verantwortung steht und wie diese gestärkt werden kann. Denn für eine Veranstaltung lässt sich Awareness vielleicht weitreichender auf ein spezifisches Team auslagern. Für eine Gemeinschaft, ein Zusammenleben kann jedoch die Verantwortung nicht so stark externalisiert werden, ohne ungute Dynamiken zu schaffen.
owohl Selbstreflexion als auch ein Spiegeln von außen, beispielsweise in einer Supervision, sind sehr wichtig, auch um Veränderung anstoßen zu können, bevor eine Struktur völlig in die Krise gerät. Denn dysfunktionale Strukturen erhalten sich unter Umständen dadurch, dass Veränderung als Zusatzarbeit betrachtet wird und innerhalb der vorhandenen Kapazitäten nicht mehr leistbar ist.
Wer andere unterstützt, muss auch selbst Unterstützung bekommen. Noch dazu, da es oft so ist, dass Menschen, die tendenziell häufiger Awareness-Aufgaben übernehmen, selbst von Diskriminierungsformen betroffen sind und/ oder nicht unbedingt gelernt haben, Grenzen zu setzen und/oder sich schwer damit tun, ihre eigene Arbeit und Können wertzuschätzen – umso mehr, als sich die mangelnde Anerkennung von Care-Arbeit in der Gesellschaft allzu oft auch in Besetzungen wiederspiegelt.
Menschen, die Awareness-Aufgaben übernehmen, befinden sich gleichzeitig selbst noch auf dem Weg, Elemente problematischer eigener Sozialisierung zu reflektieren und sie reproduzieren daher auch immer noch Elemente problematischer Verhaltensweisen weiter. Es ist eine Balance-Aufgabe, die eigene Weiterbildung und die alltäglich notwendige Awareness-Arbeit zeitlich zu vereinbaren. Und auch, Awareness-Arbeit für neue Menschen offen zu halten, die diesen Weg vielleicht noch nicht so weit gegangen sind, und gleichzeitig einen möglichst diskriminierungsfreien Raum halten zu können für Gespräche mit Betroffenen und für die Fallarbeit insgesamt.
In Check-In Gruppen und ähnlichen Strukturen gilt es, insbesondere die richtige Mischung und Balance zwischen neuen und langfristigen Menschen immer wieder neu bewusst zu finden. Das gilt auch für eine Besetzung als Ganze: Die Herausforderung für langzeit Bewohnis ist es, sich auch immer wieder auch für Gespräche und Begegnungen mit neuen Menschen zu öffnen, sowie Wissen und Ressourcen zu teilen. Die Herausforderung für neue oder kurzfristige Bewohnis ist es, sich auch selbstständig zusammenzutun und den langzeit-Bewohnis, die tendenziell mit der Zeit immer mehr Verantwortung übernehmen, konkrete Verantwortungsbereiche abzunehmen.
Awareness ist Teil unserer Utopie eines anderen Zusammenlebens. Gleichzeitig klaffen Anspruch und Wirklichkeit trotz aller Mühe weiterhin auseinander. Gute Strukturen für Awareness müssen in jedem Kontext wieder neu gefunden werden. Hierfür gibt dieser Text Erfahrungen aus dem Lü-Kontext weiter. Danke an alle, die mir von ihren Erfahrungen erzählt und diesen Text möglich gemacht haben!
Es gibt mit Sicherheit noch viele weitere wichtige Aspekte und Perspektiven, die in dieser Geschichte der Awareness-Strukturen von Lü noch nicht vorkommen. Wenn dir/ euch da etwas einfällt, schreibe(t) gerne an diese Mailadresse, damit das Teil der überarbeiteten und ergänzten Version dieses Textes werden kann: awarenessgeschichte@systemli.org
Kleiner Stern
Avril Luis Diehl
Ich bin unsichtbar. Ich bin in meiner Sprache nicht vorhanden Und in den meisten Köpfen nicht existent. Manchmal bin ich ein kleines Sternchen Zwischen dem Nomen und dem …innen. Manchmal sogar eine Wortneuschöpfung Wie „xier“ oder „sier“. Ich wurde als Mensch geboren. Über mich wurde gesagt, dass ich ein Mann sei. Aber ich sage über mich, dass ich nicht.-binär bin. Kein Mann, keine Frau, sondern ein Mensch. Nicht „er“, nicht „sie“, mein Pronomen ist „nin“. Nin, das ist keine Abkürzung oder so. Es ist ein Pronomen für nicht-binäre oder für Menschen, Von denen du das Geschlecht noch nicht kennst. Das haben sich menschen ausgedacht, So wie „er“ oder „sie“ oder „xier“. Und nein, ich erwarte nicht, Dass du das konsequent nutzt Und deine Sprache komplett umänderst. Aber ich will dich dazu einladen, es auszuprobieren. Denn ich und tausende andere fühlen sich dadurch wertgeschätzt. Anerkannt. Gesehen. Und ich fände es ganz wunderbar, Wenn Menschen mich sehen, wie ich bin.
Transformative Gerechtigkeit in Lützerath: Erfahrungsbericht und Learnings
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Einleitung
Eigentlich sollte dies ein Text werden welcher meine gesamten Erfahrungen und Gefühle mit Awarenessarbeit in Lützerath und eine Analyse daraus zusammenfasst. Selbstverständlich bin ich an diesen Ansprüchen gescheitert. Stattdessen werde ich am Anfang dieses Textes kurz darauf eingehen, wie Awareness und insbesondere Transformative Gerechtigkeits Arbeit (TG-Arbeit), auf die ich in diesem Text einen Schwerpunkt setzen möchte, in Lützerath war. Danach werde ich die Hauptlearnings beschreiben welche ich mitgenommen habe - insbesondere auch klassische Missverständnisse mit dieser Arbeit. Dieser Text richtet sich an Menschen, die bereits wissen, was TG-Arbeit ist. Dieser Text ist explizit nicht als Anleitung für TG-Arbeit zu verstehen! Falls du etwas zu TG lernen willst, empfehle ich die Ressourcensammlung von https://www.transformativejustice.eu/de/
Wie war die Awarenessarbeit in Lützerath?
Ich möchte gerne Teile meiner Erfahrungen, die ich in Lützerath mit Awarenessarbeit gemacht habe, teilen. Andere Menschen haben Lützerath und diese Arbeit zu einer anderen Zeit kennengelernt und daher will ich beschreiben, aus welcher Perspektive ich schreibe. Wenn dich das gerade nicht interessiert, kannst du auch direkt im Absatz über Learnings weiterlesen.
Ich bin dem Awareness-Team im Sommer 2022 vor allem deswegen beigetreten, weil so dringend Leute gesucht wurden. Wir waren ca. zu dritt neu im onboarding und haben in meiner Erinnerung zwei kurze Texte einmal über die Awareness und einmal über die Bedeutung von Definitionsmacht gelesen. Wir haben dann so ziemlich alles gemacht: emotional first-aid, Party-Awareness (die wurde später ausgelagert), Konfliktschlichtung und TG. Wir hatten eine erstaunlich große Hütte, die mal mehr und mal weniger schimmelte, und saßen im Sommer für lange Plena davor. Irgendwie gab es immer was zu besprechen und wenn irgendwas im Dorf schief lief, wurde ein "Fall" daraus gemacht. Ich kann nicht mehr genau sagen, woran es lag (ich glaube, es waren Sicherheitsbedenken, vielleicht waren die Menschen die die Fälle betreuten auch einfach nicht da) auf jeden Fall wusste ich, dass es langfristige Fälle gibt, jedoch wusste ich keine Details.
Die eigentliche Arbeit sah dann für mich meistens so aus, dass ein Fall an uns heran getragen wurde. Dann wurde dieser Fall im Awarenessplenum verteilt und dann ging man (im besten Fall zu zweit) auf die Suche der beteiligten Personen. Diese Suche gestaltete sich meistens als nicht so einfach. Fanden wir den Menschen dann, führten wir meistens an irgendeiner Baustelle oder zwischen Tür und Angel ein Gespräch.
Ich habe in dieser Zeit viel darüber gelernt, wie Konflikte und Gewalt in Gemeinschaften funktionieren. Gleichzeitig musste ich viele der Konzepte darüber, wie Menschen handeln oder welche Motivationen Menschen antreiben, welche ich durch Fernsehen, durch Filme und Bücher, gelernt hatte, erst einmal ver-lernen.
Ich wäre gerne in diesem Text noch mehr darauf eingegangen, wie ich gelernt habe, dass die Suche nach einer "Wahrheit" in Konflikten häufig nicht nur nicht hilfreich, sondern unmöglich ist. Wie selbst schon in so relativ kleinen Cummunitys Vorurteile darüber entstehen, was die Motivationen anderer Untergruppen ist und wie aus Missverständnissen, Unwissenheit oder internalisierten Diskriminierungsmustern Ausgrenzung und Konflikte entstehen. Aber zum Einen würde dies sicherlich den Rahmen dieses Textes sprengen und zum Anderen muss ich selber in diesem Bereich noch einiges lernen.
Über eines bin ich jedoch sicher: Ich bin in meiner Zeit in Lützerath mit viel Scheiße und mit viel Gewalt in Berührung gekommen. Trotzdem hab ich (ironischerweise) gelernt, wie zynisch das Menschenbild unser Gesellschaft ist - und wie viel "besser" die Menschen sind, als wir es häufig denken.
Learnings
In den folgenden Absätzen werde ich ein wenig darauf eingehen, was ich aus meiner Arbeit in Lützerath mitgenommen habe. Sicherlich kommen Menschen zu unterschiedlichen Schlüssen, aber ich hoffe, dass diese Learnings für einige hilfreich sind.
Learning 1: Es braucht ein breiteres Verständnis von TG-Arbeit
Ich denke, mit einer der größten Gefahren bei der Nutzung von TG in Besetzungen ist, dass viele Menschen (gefährliches) Halbwissen zu diesem Thema haben. Besonders deswegen, weil ständig Menschen kommen und gehen ist es schwer sicherzustellen, dass alle Menschen das gleiche Verständnis haben,wie TG-Arbeit in Besetzungen umgesetzt werden kann.
An dieser Stelle gehe ich nur auf die Missverständnisse und Reibungspunkte ein, welche mir in meiner Arbeit am häufigsten begegnet sind.
Missverständnisse
Missverständnis 1: TG ist ein festes Konzept mit festen Regeln, welches man ohne weitere Vorraussetzungen an Orten anwenden kann TG dreht sich um eine Gemeinschaft und wie mit Gewalt und Diskriminierung innerhalb einer Gemeinschaft umgegangen werden soll. Es geht also nicht darum, ein übergeordnetes "TG Regelwerk" umzusetzen sondern aus Erfahrungen anderer Comunitys zu lernen und einen eigenen Weg zu finden. Voraussetzung ist dafür außerdem, dass es eine Community gibt. Auf Veranstaltungen oder mit Menschen die erst sehr kurz in einer Gruppe sind, ist das Konzept nur schwer anzuwenden. Im Zweifel gibt es dafür auch andere Konzepte (z.B. Veranstaltungsawareness).
Missverständnis 2: TG-Prozesse sind ein Werkzeug, das auf alle (Konflikt-) Situationen anwendbar ist.
In meiner Erfahrung lernen Menschen einzelne Werkzeuge aus dem Bereich von TG kennen. Zum Beispiel ein "TG-Prozess" (Gruppe um betroffene Person, Gruppe um Gewalt ausübende Person, Koordinierungsgruppe). Diese werden dann versucht in allen Situationen anzuwenden (z.B. Konflikt zwischen zwei Menschen). Dabei wird dann vergessen, dass noch viele weitere Werkzeuge wie Präventionsarbeit, Umbau von Strukturen, Bildungsarbeit, Konfliktmediation usw… zur Verfügung stehen würden.
Dies wird vor allem auch dann stark sichtbar, wenn TG-Prozesse auf Situationen übertragen werden, wo eine binär aufgeteilte Logik, zwischen der gewaltausübenden und der betroffenen Person besonders schwierig anwendbar ist.
Missverständnis 3: Bei TG darf keine*r rausgeworfen werden. Mit eines der häufigsten Missverständnisse ist aus meiner Sicht, dass ein Rauswurf häufig als ein gescheiterter TG Prozess betrachtet wird. Gerade in einem (Rauswurf-)Plenum hört man Sachen wie "Aber eigentlich machen wir hier doch TG" oder "Wie kann es sein, dass wir andauernd Menschen rauswerfen müssen obwohl wir TG machen?". Es ist durchaus wichtig, immer wieder kritisch zu hinterfragen, ob und wie ein Prozess besser hätte laufen können. Es ist gleichzeitig auch wichtig, realistisch damit umzugehen, dass wir eben nicht in einer Utopie leben und damit an ganz reale Grenzen in unserer Arbeit stoßen. Außerdem kann es für die Sicherheit der Community oder der betroffenen Person sehr hinderlich sein, wenn ein Rauswurf als um jeden Preis zu vermeiden angesehen wird. Zudem muss bedacht werden, dass eine räumliche Trennung von der gewaltausübenen Person hilfreich sein kann, um einen Raum für einen TG Prozess zu erschaffen.
Learning 2: Transparenz kann ein wichtiges Werkzeug sein
In der TG-Arbeit, welche ich in Lützerath erlebt habe, wurde übergriffiges Verhalten häufig nicht transparent gemacht - stattdessen hat sich das Awareness-Team eine Art "Schweigepflicht" selbstauferlegt. Das hatte zur Folge, dass teils weitere betroffene Personen nicht über die TG-Arbeit informiert wurden. Dadurch wurde - im schlimmsten Fall - grenzverletzendes Verhalten ermöglicht zu wiederholen und ausübende Personen geschützt. Und obwohl es Fälle gab, in welchen betroffene Personen sich Verschwiegenheit wünschten, ist dies nicht bei allen Fällen der Wunsch gewesen. Da die Themen für einige Menschen triggernd sein können, wäre es gut gewesen, einen Rahmen zu haben, in dem Menschen über aktuell laufende Prozesse informiert werden können.
Learning 3: Ein einzelnes Awareness-Team für alle emotionalen Aufgaben funktioniert schlecht. Je größer eine Community wird, desto schlechter funktioniert es
Als ich zur Awareness-AG in Lützerath dazugestoßen bin, war diese für so ziemlich alles, was auf einer menschlichen Ebene schieflaufen kann, zuständig. Zum Teil fühlte es sich an, als würde so eine "darum-kümmert-sich-dann-bestimmt-das-Awareness-Team"-Attitüde bestehen. Dabei wird häufig vergessen, dass Menschen aus dem Awareness-Team auch nur "ganz normale Leute" aus der Besetzung sind, welche unangenehme Situationen/Konflikte nicht wegzaubern können. Außerdem sind die Fähigkeiten, die benötigt werden um Veranstaltungs-Awareness, emotional first-aid oder TG zu machen ganz unterschiedlich. Es ist daher sehr ineffizient, diese Sachen alle in einem einzigen langen Awareness-Plenum zu besprechen. Stattdessen macht es Sinn, die Aufgaben auf unterschiedliche Teams zu verteilen. Es kann aus meiner Sicht auch Sinn machen, wenn eine TG-AG die TG-Arbeit nur koordiniert und zu diesem Thema weiterbildet, große Teile der direkten Arbeit jedoch von einzelnen Leuten aus der Community übernommen werden.
Learning 4: Dass Awarenessarbeit eine kollektive Aufgabe ist, muss beim entwickeln von Strukturen mitgedacht werden
Es reicht nicht zu sagen: "Awarenessarbeit muss von Allen getragen werden". Die allermeisten Menschen, die in Besetzungen kommen, wurden (und werden) sozialisiert mit einem Staat und insbesondere einer Polizei (also externen Strukturen) die von außen kommen und sich um bestimmte "Probleme" "kümmern". Wenn in einer Besetzung wieder eine einzelne AG existiert, die von vielen als "Lösung für zwischenmenschliche Probleme" angesehen wird, steht dies einer echten Kollektivierung von Carearbeit im Weg. Um dem entgegenzuwirken wurde in der Herbstzeit in Lützerath zu dem Konzept von CheckIn-Gruppen und einzelnen AGs (emotional first-aid, TG, Bildungsarbeit) gewechselt. Über das Konzept von CheckIn-Gruppe wird an anderer Stelle in diesem Zine ausführlicher berichtet. Eine solche verteilte Struktur führt deutlich eher dazu, dass die Arbeit tatsächlich auf viele Schultern verteilt wird.
Mehr Zeit für Bildung und Reflektion
Awarnessarbeit in Lützerath war während meiner Zeit sehr von einer ständigen Dringlichkeit geprägt. Wenn man schließlich von Sachen weiß, hat man auch eine Verpflichtung zu handeln. Gleichzeitig sind viele Menschen an dieser Arbeit ausgebrannt, weshalb die wenigen die noch übrig waren dann noch mehr Arbeit übernehmen mussten. Zusätzlich ging Wissen ständig verloren. Es war während meiner Zeit kein Raum für Reflexion oder für kollektive Bildung (ich habe gehört, dass es zu anderen Zeiten anders war). Rückblickend würde ich dem heute mehr Priorität einräumen wollen. Es ist wichtig, dass Gruppen für sich entscheiden, wie sie Kapazitäten entweder einsparen können (im Zweifel auch dadurch, dass mit einer Gewalt ausübenden Person erst mal kein TG-Prozess gemacht wird, sondern die Person ausgeschlossen wird) oder wie sie als Team wachsen kann.
Learning 5: Es braucht erfahrene Leute, die Dinge erzählen
Während meiner Zeit im Awarenessteam habe ich gerade zu Beginn kaum mit Menschen Kontakt gehabt, die Erfahrung mit dieser Arbeit hatten. Da es bei dieser Arbeit jedoch um viele zwischenmenschliche Angelegenheiten geht - welche man kaum aus Büchern lernen kann - ist dieser direkte Austausch umso wichtiger.
Es wäre gut gewesen Austauschräume auch mit erfahrenen Menschen zu öffnen, welche die TG-Arbeit selber nicht machen können oder wollen, um ihre Erfahrungen weiterzugeben. Dadurch hätten Menschen Abstand von der eigentlichen Arbeit gewinnen können, ohne, dass das Wissen verloren geht.
Abschluss
In Zeiten in welchen der Druck von Außen auf unsere Bewegungen zunimmt, ist es umso wichtiger, einen Umgang mit der Gewalt und den Konflikten zu finden, welche in unseren Communities stattfinden. Ansonsten sind wir ein leichtes Ziel für gezielte Spaltungsversuche und der Aufreibung in internen Konflikten. Ich hoffe, dass unsere Bewegungen die Konzepte, die wir schon haben, weiterentwickeln um den Kampf für eine befreite Gesellschaft zu ermöglichen.
zusammen kämpfen
Menschen kommen und Menschen gehen Manche bleiben oder bleiben stehen Wollen immer weiter gehen Doch in dem Sumpf in dem sie stehen Ist der Nebel so dicht, dass sie nicht nach vorne sehen Sie schauen auf ihre Füße Und sehen dabei die neben sich nicht Die gleichen solidarischen Grüße Aber die Einsamkeit versperrt die Sicht Doch am Ende des Tunnels ist ein Licht Wenn wir zusammen kommen Und in uns nur einander sehen Das Funkeln in unseren Augen ernst genommen Wird die Revolution weiter gehen Und wir sind mittendrin
The rat
walnut
The rat is an awesome creature. It stands its ground You wanna scare it? Good luck. You want to keep the food for yourself? Good luck. The Rat is strong and independent and doesn‘t give a fuck But neither me nor the rat can withstand the forces that are to come the forces that turn grass into road that squeeze the mud to hard it sinks and compacts and I am scared for the rat. When I was cycling in my city a few weeks after A rat appeared on the cycling path And we had a little stand off The rat won of course.
In solidarity with the soil
walnut
There was a banner strechted between two birches It said: Weltweite Solidarität mit den Kämpfen von links und unten I was there when they tore it down Not just tore it down, but obliterated it They cut the tree with a machine bigger than my apartment Not once or twice, but three times The machine chopped off the tree‘s crown that had withheld so many storms as if it was icecream on a summer day It grabbed the trees‘ trunk and in pulling it away snapped the polyprop that the banner was hanging on And I filmed it knowing nothing else I could do In the face of helplessness I reverted to the only thing that was left for me to do Witnessing. Documenting. And I couldn‘t help but think about the symbolic Character of this scene. Because so often all we do is symbolic. A symbol of resistance or just discontent when we stage our demonstrations and drop our banners And this, too was symbolic. A symbol for the soilidarity people in Lützerath had shown and received. With the Zapatistas With the Italian Climate Movement With us. In that moment of utter destruction I knew that this was just a symbol Some cloth and polyprop But that the willpower and the genuine connections that it represented had not been severed
Wenn der Räumungsversuch näher rückt
Die ersten Tripods sind verloren und schon beginnt ein gewisses Rumoren: Manche Menschen zischen direkte Anweisungen oder machen wortlos Feuer mit sehr viel Stroh, das weise eingeteilt werden könnte. Die Abhängigkeit von Menschen mit Funken wächst. Bezugis ziehen sich zu Rudeln zusammen, andere schwirren etwas verloren und überfordert herum. Entgegen vorheriger Praxis lassen mehr Menschen ihre Klettergurte an, auch wenn die äußeren Linien noch weit von jeglichen höheren Strukturen entfernt sind. Harte Gespräche branden auf: Vielleicht hätten längst Wege geschlossen, ganz andere Gräben ausgehoben werden sollen? Auf wen wurde vielleicht zu viel Rücksicht genommen bei der Schließung von Wegen für Straßenfahrzeuge? Sollten wir gerade nicht ganz andere Diskussionen führen? Der Stress der Situation ist verständlich, aber die Veränderung der Kommunikation nicht für alle ganz einfach. Blaues Porridge beruhigt und belustigt die Gemüter. Doch bald darauf führt eine unachtsame Minute zu einer Gefahr für den Küfa-Wagen, der nur in einer gewagten Aktion auf sicheres Gelände zurückgezogen werden kann. Das Porridge! Erleichtertes Aufatmen hinter der Barrikade. Nach und nach werden die Mampfenden mehr. Adrenalin getränkte Stille. Was nun? „Ich fürchte, dass sich der Charakter der Besetzung jetzt total verändert. Bestimmte Dinge, die wir hier aufgebaut haben, hören heute schon auf …“ der Blick eines Menschen unter einer schwarzen Kapuze schwankt zwischen Traurigkeit, Einsamkeit und Entschlossenheit. „Die Mackrigkeit kommt wieder, je näher die Räumung rückt …“, ergänzt ein Mensch nebendran und zieht sich die Mumme noch höher über die Nase. Aber was hilft es? Es ist einfach eine andere Situation. Oder nicht? Anarchie ja, aber wie schaffen wir es, dass die faktisch entstehenden Wissensund Koordinationsund Entscheidungshierarchien nicht zu groß werden? Hätte das nicht doch gemeinsame Planung erfordert? Aber was, wenn dann doch ein Zivi-Cop mithört? Viel Zeit für Gespräche ist nicht, an den Barrikaden ist zu viel los. Erst ein paar Stunden später entspannt sich die Lage endlich etwas. Oder vielleicht sollte ich sagen: Die neue Realität sackt langsam etwas tiefer. Menschen sorgen sich wieder etwas umfassender umeinander und gehen eigenen Bedürfnissen nach. Aberwie vorher ist es nicht. Zum Glück haben die Menschen in der Küfa während der ganzen Zeit unbeirrt weitergekocht. Nervennahrung. Aber mal wirklich – wie kann Kommunikation gelingen, wenn ein großer Teil der Menschen erst kurzfristig angereist ist, teils keine Bezugi hat, nicht weiß, wer bei welcher Taktik on board ist? Wir können uns nicht einfach überrennen lassen. Aber sollen wir uns jetzt schon ankleben, vom Tripod holen und mitnehmen lassen? Oder kann eine entschlossene doppelte Kette untergehakter Menschen vorerst ausreichen? Es ist durchaus möglich, dass ein gewisses Chaos uns auch von außen unberechenbarer macht. Menschen sehen was wo fehlt und handeln, fluide ergeben sich widerständige Gebilde. Für eine diversity of tactics empfehlen aber manche auch eine räumliche Trennung verschiedener Taktiken, beispielsweise lassen sich statische und dynamische Taktiken nicht beliebig kombinieren, ohne dass Menschen in große Verletzungsgefahr geraten. Doch eine räumliche Trennung verschiedener Taktiken geht vermutlich nur geplant. Also hätten wir üben, Ernstfälle trainieren sollen? Es hätte den Charakter der Besetzung womöglich noch früher verändert, das Level an Repression erhöht… Es gibt hier keine einfachen Antworten. Eine Überlegung könnte so anfangen: Was hier aufeinandertrifft, sind präfigurative und disruptive Kernstrategien. Disruptiv, das ist die Besetzung an sich, weil sie das Weiterbaggern an dieser Stelle ganz konkret unterbricht. Aber disruptiv, das ist auch die ganze Diversität an Taktiken, die versuchen, den Räumungsversuch zu vereiteln oder zu verzögern. Präfigurativ dagegen, das ist die Selbstorganisation in Lützi, die Formen des Zusammenlebens und des füreinander da seins und Einstehens, die in immer neuen Versuchen weiterentwickelt und von der jeweiligen Bewohner*innenschaft von Lützi angepasst wurde. Wie geht das nun zusammen im Abwehren des Räumungsversuchs? Aware sein im Verteidigen bedeutet von unserer Seite zurückhaltend zu bleiben, sagen die einen. Denn jede Provokation kann die Polizeigewalt auf eine Weise eskalieren lassen, die Menschen unter uns gefährdet, die darauf vielleicht nicht vorbereitet sind. Aware sein im Verteidigen bedeutet nicht, die Cops einfach machen zu lassen, sagen die anderen. Denn wir kämpfen im globalen Vergleich unter extrem guten Bedingungen und wie ernsthaft und solidarisch sind wir denn aktiv, wenn wir uns einfach so räumen lassen. Zum Glück sind wir Anarchist*innen, sagen weitere. Denn so können unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen gleichzeitig auf ihre Weise aktiv und unberechenbar sein. Was will dieser Text sagen? Vielleicht einfach nur das: Die Fragen nach der Vereinbarkeit und Gefährdungen, nach kollektiven und bezugiinternen Vorbereitungen, die Frage der Verhinderung von auf patriarchale Art kämpferischen Vibes und die Sorge für alle, die ein bisschen unschlüssig umherschwirren sind Fragen, die in präfigurativen Kontexten besprochen werden können, bevor die Räumungsbedrohung akut wird.
Lock Ons sind wunderbare Wurfgeschosse
eine Kritik am anketten
Vorwort
Als ich noch in der Grundschule war, hatte ich ein sehr spezielles Bild von Umwelt-Aktivist*innen. Durch die Schule, oder weil mir meine Mama irgendwas über Umweltschutz erzählt hatte, prägte mich das Bild von bärtigen Hippies die sich an Bäume ketten sehr lange. Irgendwie war das damals für mich das krasseste was mensch machen konnte. Sich einfach an das anketten, das du beschützen willst, damit es nicht zerstört werden kann – das klang voll logisch.
Jetzt bin ich bzw sind wir schon eine Weile selber aktiv gegen Straßenbau, Waldrodung, Kohleverbrennung – aber bärtige Hippies sind wir nicht geworden. An Ketten haben wir auch so einige Kritik. Vor allem weil wir mitbekommen haben, wie Lock-On Aktionen auch nach hinten losgehen können. Teilweise wird auch mehr Wert darauf gelegt, immer krassere Lock-Ons und andere Sachen zu bauen, anstatt auf sich gegenseitig aufzupassen und sich nicht schon durch die eigene Aktionsform in die Hände der Cops zu legen. Das stört uns.
In dem Text geht es auch um militanten Protest und (Polizei)gewalt mit genannten Beispielen! Der Text ist aus dem Blickwinkel einer weißen able bodied nonbinary trans Person und einer weißen able bodied cis-Frau mit Klassenprivileg geschrieben.
Was sind Lock -Ons und warum machen das manche Leute?
Lock Ons sind Konstruktionen meist aus Metall und/oder Beton in dessen Inneren sich Menschen anketten Zb in dem mensch den Arm in ein Metallrohr steckt und innen festkettet. Diese Konstruktion erschwert das wegtragen/räumen der Menschen in der Konstruktion und ermöglicht z.b. längere Blockaden von Kraftwerken, Gleisen oder ähnlichem. Lock Ons gibt es schon sehr lange und sind in der Klimagerechtigkeitsbewegung ein gängiges Mittel. Sich an Schienen und Köhleförderbänder ketten und Betonrohren auf Waldwegen und Baumhäusern sich fixieren gibt es bei Kleingruppenaktionen, gab es im m Hambi, im Danni aber auch bei XR.
Warum eigentlich lieber nicht?
Aber es gibt auch Gründe, gegen Lock-Ons zu sein. Lock ons lähmen dich, sie machen es für dich unmöglich dich gegen Polizeigewalt, die Festnahme und andere Übergriffe zu wehren.
Das Anketten funktioniert nur weil Kraftwerksbetreiber*innen/Zugführer*innen etc anhalten und nicht riskieren das Menschen zu schaden kommen. Dass das funktioniert heißt, dass Leute die in ein Lock-On gehen Privilegien haben müssen. Wenn deren Leben sowieso nicht als wertvoll angesehen wird, gibt es keine Garantie dass das eigene Leben durch die Handlungen der Cops ect retten zu lassen als Druckmittel funktioniert. Und manchmal geht sowas halt auch vollkommen schief, selbst wenn ein Mensch Privilegien hat. Im Danni haben die Cops Seile durchgeschnitten und dabei fast Menschen getötet.
Die radikale Linke kämpft praktisch seid ihrer Existenz gegen das Vertrauen in Staat und Polizei. Das Bild von Menschen, die sich vor der Polizei selbst wortwörtlich in Ketten legen, hinterlässt bei den Medien und den Menschen die die Bilder sehen die Vorstellung, wir würden und könnten der Polizei vertrauen. Aber wir haben eine andere Wahl! Sich anzuketten, in Beton zu gießen und anzukleben zeigt, dass mensch bereit ist sich der Zerstörung und der Gewalt in den Weg zu stellen! Aber gleichzeitig gibt es auch andere Wege, genau das zu machen ohne sich selbst zu unfähig zu machen und die ganze Aktion darauf zu bauen, dass Staat und Polizei dir nicht schlimm genug weh tun.
Schokiblockhymne
2 Autonome vom Schokiblock
A Lützerath, la lutte se rate pas.
In Lützi scheitert der Kampf nicht.
Die Kälte vom Raum raus Tee, Kaffe und Kuchen Die Utopie die wir suchen und Freundschaft im Baumhaus Schlamm, Holz und Aalscheiben Traversen die hängen in Breiten oder in Längen und Lützi wird bleiben Schokolade in der Sitzblockade, ja wir sind Schokiblock oi oi Barrikaden, O Diebstahl im Laden, ja wir sind Schokiblock oi oi! Nachtschichtenspaß An der Kante heute und ich erkannte Leute als ich Nachrichten las Funken für die Meute Lagerfeuergesang nichts dass ich bereute warten, warten Stundenlang Schokolade in der Sitzblockade, ja wir sind Schokiblock oi oi Barrikaden, O Diebstahl im Laden, ja wir sind Schokiblock oi oi! Snacken mit den Zecken Knoti und Zeichnungen müde Lieder und Reibungen Löcher in den Decken Fahrradfahrt zum Schlafsack Müssen wir uns trennen? RWE soll nur verbrennen und ohne Schabernack Schokolade in der Sitzblockade, ja wir sind Schokiblock oi oi Barrikaden, O Diebstahl im Laden, ja wir sind Schokiblock oi oi! Viel mehr als Symbole: In den Bäumen kuscheln wo wilde Eichhörnchen tuscheln Mate, mehr als Kohle Unsre Welt war heiler mit Wortwitzen und noch skizzen Ohne Garzweiler RWE kriegt ein Schock: Es kommt der Schokiblock
Schwalbennest
Sie verstehen nicht, dass sie bedroht sind, darum fliegen sie weitgehend unbekümmert durch die Luft, Sie schrechen auf wenn ich mich auf bewege Was soll ihnen sonst Angst machen? Sie wissen nicht, dass das Haus an dem sie ihr Nest errichtet haben jeden Tag abgerissen werden darf. Sie fangen Insekten die sie an ihre Jungen verfüttern Was sollten sie auch anderes tun? (Selbst wenn sie die Gefahr erkannten) Hals über Kopf fliehen? Ihre Kinder sterben lassen? Nein! Sie bleiben, sie füttern und müssen hoffentlich nie verstehen… Auch wir bleiben, wir kämpfen und leben in Lützerath, damit kein Schwalbennest, keine Fleder- oder Haselmaus der Umwelt- und Klimazerstörung weichen muss.
Die Linde
Der Baum ruht majestätisch, ein Immerdawesen, erschaffen aus Licht und Luft. Er herrscht über den Platz und das unter ihm liegende Camp. Sonne, Wind und Wolken kennen ihn beim Namen und rufen ihn ‘große Linde’. Regenbögen ziehen über der großen Linde auf, nur, um ihre Blätter zu berühren.
Vögel fliegen weite Strecken über die eben darniederliegenden Felder, um ihre Schnäbel an den feinen Zweigen zu reiben. Greifvögel kreisen über der Linde, um ihren sanften Atem wie einen Hauch durch das Gefieder streifen zu spüren. Eichhörnchen schauen von den anderen Bäumen mit wippenden Schwänzen herüber, Ehrfurcht in den großen Augen, putzen ihre feinen Schnäuzchen, bevor die Pfoten das Geäst der Linde berühren. Die Maulwürfe unter dem mächtigen Gezweig der Wurzeln schmiegen sich aneinander und in ihren Träumen sehen sie die Wolken über einen warmen Sommerhimmel wie eine Herde Schafe nach Osten ziehen. Dann weinen sie kleine Tränen vor Glück.
Unter der Linde ist keine Dunkelheit, denn selbst im Winter duftet es nach einem frühlingsgrünen Wolkenlostag. Unter der Linde ist keine Stille, denn niemals verstummt der Tropfenklang eines seidenweichen Frühsommerregens. Unter der Linde ist jede Zeit immer da, die Stunden der Liebenden, die Minuten der Geburt, die Wochen der Kinderspiele, die Monate des jahreszeitlichen Bauerntagwerks, die Jahre des hinwegalternden Lebens, die Sekunden des Todes, das Welken des Körpers bis zum Schließen des Sargdeckels. Soviele Gesichter alterten unter der Linde, soviele Stimmen verstummten durch die Jahrhunderte. All die sehnsuchtsvollen Küsse und wutgetriebene Schlägereien, die wilden Kinderspiele und das Stille betrachten der Wolken durch das verzweigt Geäst, alles findet sich unter der Linde wieder in dem magischen Raum zwischen Erde und Himmel, als ließen sich die fern in die Zeit geschriebenen Geschichten durch die Luft einatmen.
Jahrhunderte in Regen und Sonnenschein, in Tag und Nacht, haben der großen Linde alles gelehrt, was sie wissen muss. An diesem Ort sind nur nur die Erde und die Gestirne älter als dieser Baum. An diesem Wintertag vor der großen Linde zu stehen und seine Hand auf die grüne Rinde zu legen ist ein letzter Gruß:
„Du wirst sterben. Die Menschen werden Dir den Kopf abschlagen, Deine Gliedmaßen abtrennen, Deine Füße aus den Boden reißen. Dein Körper wird in die Stahlmaschinen gepresst, um Dich zu einem Schrot aus Holzhäksel zu zermahlen. Du wirst weder schreien noch bluten. Für uns Menschen wirst Du dieses frevelhafte Verbrehen stumm über Dich ergehen lassen. Deine Vögel werden Dich da schon längst verlassen haben, um sich einen neuen Schutzraum zu suchen, wurden sie doch vertrieben vom Lärm der öltriefenden Stahlgetüme, die sich austoben werden an Deinem Holz.
Du wurdest gepflanzt von guten Menschen, als wir einen Moment in unserem Schlachten und Zerstören inne hielten, vor Jahrhunderten, als das Blut noch frisch auf den Äckern lag und das Leid noch nicht aus den Erinnerungen verschwunden war. Du warst verknüpft mit dem Gedanken an Frieden und Hoffnung und Zukunft. Und als das Schlachten und Zerstören wieder einsetze und Jahr für Jahr schlimmer wurde, wuchsest Du heraus und hinauf in einen Himmel, der Dich segnete mit der Kraft eines gewaltigen Baumes. Du warst immer da und allen war es gut. Tropfen küssten Dich. Regenbögen grüßten Dich. Sterne sangen für Dich. Morgenröte leuchtete für Dich. Frost schmückte Dich und Hagel ließ Dich nicht erzittern und Sturm konnte Dich nicht brechen.
Zwischen Deinen Wurzeln und Deinen Wipfeln waren wir Kinder, die in den Schaukeln hin- und her schwangen. Wir waren kühne Architekten, die sich Hütten in Deinen Ästen erbauten. Wir waren Schutzsuchende vor dem Wetter, denen Du den Regen fern hieltest. Wir waren Umherirrende, denen Du als Landmarke in dieser einförmigen Landschaft dientest.
Du hast uns viel gegeben und wir, die wir Dich bei uns fühlten, werden Dich nicht beschützen können.Ich lege meine Hand an Deinen Stamm und wünsche, dass Du meine Trauer und meine Verzweiflung spürst. Ich möchte Dich um Verzeihung bitten für all das, was ich nicht leisten kann, und für all das, was wir Menschen Dir antun werden.“
Alles wird stumm. Nichts lebt mehr in diesem Moment. Die Welt taucht ein in eine unendliche Dunkelheit. Der Tod dieses Baumes ist eines der vielen Verbrechen, die ungesühnt bleiben. Ein letztes mal berühren die Lippen den Baum – um nie wieder darüber zu schweigen.
Wo des Winters unsret Herz
De dunkle Schatten widerstand
Blühts des Frühling wieder frisch
Mit junge Blüte auffe Land
um 1740
Greta say hi to me
A song by walnut
Warning
|
Mention of Police and eviction |
I am sitting on a tree seeing destruction all around me my neighbours taken away I’m left to watch and stay Machines turn what was once beautiful into rubble dust and fray i try to hold on helplessly here to stay So little I can do and yet I am giving it my all so i need you to stand up and carry it ooon. Greta say hi to me-e, I beg you please Greta say hi to me-e, Win this fight for me-e I am sitting on a tree trapped in barbs and wires, surrounded by cops and a hole that never stops It eats and eats and stretches to the horizon the biggest gaping hole you’ve ever laid eyes on What i do is futile I know it in my heart which is why you need to make it better make it beteeeeeeer Greta say hi to me-e I beg and plead Greta say hi to me-e Win this fight for me You’re a symbol of a struggle won For our story being heard So I beg of you to win this fight for us Speak up and touch them all beyond these fences And I need my story to be told spread the gospel far and wide things can change and new replaces old there’s a real resistance movement here, so go on and spread our cryyy Greta say hi to mee, I beg you please Greta say hi to mee, Win this fight for me You are 50 meters away from me, yet unreachable I am being ignored and of course you can’t win this either All we have is us between safe and lost with this little heart of mine I am asking one more tiiime Greta say hi to mee It’s not a hero that we need, Join us as an equal, as a friend and together we’ll stand. <3
Briefe an Menschen in Lützi
Note
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Im Februar 2022, während der Räumung Lützeraths, haben Menschen, die währenddessen außerhalb des Dorfes waren, Briefe an Menschen in der Räumung geschrieben. Diese Briefe wurden digitalisiert. Da es zu viele sind, um sie alle in diesem Zine zu drucken, wurde einer zufällig ausgewählt. Alle weiteren Briefe findest du demnächst hier: https://zine.luetzerathlebt.info oder unter https://luetzi-lebt.codeberg.page/luetzine |
Die Erzählung – Prolog
Laßt uns nie aufhören, davon zu erzählen, wie wir gekämpft haben, denn im Erzählen überdauert uns unser Kampf.
1. Jhd. v. Chr.
Was werden wir uns erzählen, wenn unsere Haut faltig und unser Atem grau geworden ist? Wenn unsere alten Blicke sich müde begegnen, meine Hand nur noch kraftlos in Deiner liegt, um Dich vielleicht zum letzten Mal zu spüren? Wenn alle Schlachten geschlagen sein werden, alle Argumente ausgetauscht wurden und jedes weitere Wortgefecht nur noch ermüdend sein wird unter der tödlichen Hitze eines Oktobertages?
Vielleicht werden wir uns von jener fernen Zeit erzählen, dem letzten Jahr der großen Linde. Von dem jahrhundertealten Baum des Friedens, in dessen Zweigen sich unsere Kinder Hütten gebaut hatten, um wilde Herzen an die starken Äste zu hängen und junge Träume von den Wipfeln des mächtigen Baumes in den Wind zu werfen. Wir könnten uns an jene Zeit erinnern, als wir noch Gletscher in den Bergen zählten und gutes Wasser durch die Flussbetten fließen sahen.
Woran werden wir uns erinnern, woran werden wir uns erinnern wollen, wie werden wir erinnern? Werden unsere Erinnerungen vor Mutlosigkeit und Verzagheiten zittern wie der Spatz vor dem dunklen Schatten des Bussards? Oder werden uns die fernen Bilder in Tapferkeit entgegenbrausen wie ein warmer Frühjahrssturm? Werden wir noch, leise singend, uns der Lieder erinnern, die uns in Regen, Sturm und Kälte Mut gemacht hatten? Werden sich unsere Zungen noch an dem Geschmack der Erde erinnern, die als hellbrauner Schlamm unsere Gesichter bedeckt hatte?
Der Dreck auf unseren Stiefeln und Hosen wird längst zu Staub getrocknet worden sein, den der Wind fortgeweht hat. Viele der guten Menschen aus dem letzten Jahr der großen Linde werden unter die Erde gegangen sein. Viele Gesichter aus dieser Zeit werden uns nicht gealtert scheinen, denn sie wurden uns Erinnerungen mit wildem Lachen undungewaschenen Haaren, die langsam verblassten.
Vielleicht werden wir noch gemeinsam lächeln über die kleinen Ängste, die sich uns auf den richtigen Wegen entgegengestellt und die wir kühn wie ein kleiner Gebirgsbach durchflossen hatten. Wir könnten Namen mit unseren Lippen formen von Mitkämpfenden, die größere Herzen hatten als wir beide zusammen und alles aus ihrem tapferen Leben in den Kampf hineingeworfen hatten – und die doch zerschellen mussten in den schweren Wassern jener ungeheuren Sturmzeiten. Es wird dann keine Rolle mehr spielen, wer von uns in Tempeln eingezogen war oder sich in Verzweiflung an den Rändern dieser Welt verloren hatte, ist doch jene Landmarke längst wie ein Brandzeichen unseren Biographien eingeprägt worden.
Das letzte Jahr der großen Linde ist uns eingeschrieben, in die Linien unserer Handflächen, in den Gesten, die wir uns zuwerfen, in den Worten, die wir wählen, wenn wir uns Nachrichten zusenden, in den Liedern, die wir aus dem unendlichen Strom der Musik auswählen, in der Art, wie unsere Hände ineinander greifen und unsere Lippen sich im Kuss berühren. Wir erkennen uns in den Blicken, die das Frühlingsgrün des mächtigen Baumes widerspiegeln. Jedes Blatt ein Wort, jeder Zweig ein Satz, jeder Ast ein Absatz. Diese große Linde wächst weiter. Jeden Tag, an dem wir davon schreiben, reden, singen, tanzen und träumen.
Wir sind dieser alte, mächtige Baum, der nie sterben und immer bleiben wird. Wir werden vom letzten Jahr der Linde erzählen, da unsere Worte, älter geworden als wir selber, immer noch jung erscheinen werden, da die Feuer unserer Herzen selbst in die dunklen Stahlhöllen das Licht hineintragen werden, da nichts und niemand unser Schweigen erzwingen kann.
Lasst uns erzählen.
Glossar
Hier werden Begriffe und Abkürzungen kurz erklärt.
- able-bodied
-
Person ohne körperliche Einschränkungen oder Behinderungen
- Actionpoint
-
Struktur in Lützi die zur Vorbereitung von und während der Durchführung von Aktionen ansprechbar war
- AG
-
Abkürzung für „Arbeits-Gruppe“. Eine Gruppe, die sich einer spezifischen Aufgabe oder einem Thema widmet.
- Agender
-
Als agender können sich Menschen bezeichnen, die kein Geschlecht haben, sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen oder mit dem Konzept von Geschlecht nichts anfangen können.
- Awareness
-
Struktur die zu Konfliktbewältigung und -prävention arbeitet
- Barrio, Barrios
-
spanisch für Viertel, Nachbarschaft; Zusammenschluss mehrerer Wohneinheiten (Baumhäuser, Hütten, Zimmer, …) unter einem Namen
- Bezugi, Bezugsgruppe
-
Kleiner aber flexibler Zusammenschluss eng vertrauter Menschen die für einander da sein wollen
- BIPOC
-
Black, Indigenous, and People of Color.
- burgi
-
„bürgerliche Person“
- Care-Arbeit
-
Sorgearbeit, z. B. emotionale, körperliche oder soziale Unterstützung
- care-Struktur
-
vergleichbar mit Awareness, siehe Awareness
- Check-in Gruppe
- cis-männlich
-
Person, dessen Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen männlichen Geschlecht übereinstimmt.
- cis-weiblich
-
Person, dessen Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Geschlecht übereinstimmt.
- Deli-Plenum
-
Treffen, bei dem Delegierte verschiedener Gruppen oder Strukturen Informationen austauschen und Entscheidungen treffen.
- diversity of tactics
-
Strategieansatz, bei dem verschiedene Protest- und Widerstandsformen akzeptiert werden und sich gegenseitig ergänzen
- emotional first-Aid
-
Erste Hilfe für emotionale Krisen oder Belastungen
- Eulogy
-
Lobrede oder schriftliche Würdigung, oft für eine verstorbene Person
- Finger, Fingersystem
-
Organisationsstruktur bei Demos: Gruppen („Finger“) bewegen sich unabhängig und koordiniert FLINTA*: Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen
- freegan
-
Menschen die sich von Lebensmitteln ernähren, die sonst weggeworfen werden
- Gesa
-
„Gefangenensammelstelle“, Polizeieinrichtung für festgenommene Personen.
- Haiku
-
Japanisches Kurzgedicht mit 5-7-5 Silben
- HDU
-
„Haus der Unbekannten“, besetzes Haus in Lützi
- Infra-Ag
-
Infrastruktur-Arbeitsgruppe, Menschen die dafür gesorgt haben, dass es in Lützi benutzbare Wege, Klos, Waschbecken, uvm. gab
- inter-geschlechtlich
-
Menschen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig als weiblich oder männlich einzuordnen sind
- kritische Männlichkeitsrunden
-
Menschen, die sich zusammentun, um gemeinsam Männlichkeit, dominante Verhaltensweisen und männliche Identität zu reflektieren
- kritisches weißsein
-
Menschen, die sich zusammen tun, um gemeinsam Weißsein und rassistisches Verhalten oder Denkmuster zu reflektieren
- KüfA
-
Kurzform für „Küche für alle“, gemeinschaftliches Kochen und Essen.
- Macker
-
Begriff für (cis) Männer, die stereotypisch dominantes Verhalten zeigen
- Mastamo
-
kurz für „MachenStattMotzen“, ein selbstorganisiertes Netzwer unterstützt vom BUNDjugend NRW
- MaWa
-
kurz für „Mahnwache“. Eine legale 24 Stunden Demonstration. In Lützi eine zentrale Anlauf- und Informationsstelle für neue Menschen
- metonimic diorama
-
Bildhafte Darstellung in einem Schaukasten
- neurodivergenz - auch neurospicy
-
Konzept, welches neurobiologische Unterschiede als eine Art menschlicher Merkmale unter anderen anerkennt und respektiert. Alle Menschen befinden sich entlang von Spektren sensorischer und motorischer Fähigkeiten, sowie sozialem Wohlbefinden, Erinnerungs- und Konzentrationsfähigkeit
- neurotyp
-
„neurologisch typisch“. Menschen, die nicht neurodivergent sind (siehe oben)
- nicht-binär
-
Sammelbezeichnung für Geschlechtsidentitäten von Menschen, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren und sich als außerhalb der zweigeteilten, binären Geschlechterordnung verstehen
- No Passaran
-
auf deutsch: „Sie werden nicht durchkommen!“ Ein Demo- Ruf der von der spanischen Kommunistin und Politikerin der Arbeiter*innenbewegung Dolores Ibárruri stammt
- notre dame dans les arbres
-
auf deutsch: Die Muttergottes in den Bäumen
- Onboarding
-
Vorgang bei dem Menschen, die neu in AGs und anderen Strukturen, oder in Lützi als Ganzes sind, willkommen und mit deren Organisationsstruktur und aktuellen Aufgaben bekannt gemacht werden
- Out of Action
-
ein Zusammenhang von linken Aktivist*innen, der sich mit den emotionalen Folgen von Repression auseinandersetzt und dafür sensibilisieren möchte.
- PoC
-
„Person/People of Color“, POC ist eine Selbstbezeichnung, die Menschen mit Rassismuserfahrung entwickelt haben, um ihre Lebensrealität zu beschreiben. Der Begriff dient also als Überbegriff für Menschen aus nicht-weißen Communities, ohne dass er eine kulturelle oder ethnische Zugehörigkeit benennt
- queer
-
Sammelbegriff für Menschen, die nicht heterosexuell, binärgeschlechtlich oder cis-gender sind
- queer-feministisch
-
intersektionaler Ansatz, der feministische und Queer-Theorie miteinander verbindet und die Bedeutung der Berücksichtigung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im feministischen Diskurs betont
- Reproboard
-
Reproduktionsarbeitenboard; eine Art Tafel auf welcher alltägliche Aufgaben gesammelt werden. Menschen können sich dort für diese Schichten eintragen, z.B. Essen kochen, Awarnessschichten, Containern, Küche aufräumen,…
- Safer Space
-
deutsch: Sichererer Ort; ein Ort der gezielt so gestaltet wird, dass dieser sicherer als die restliche Gemeinschaft für eine unterdrückte Gruppe ist. Zum Beispiel wird dies erreicht durch ausschließen der unterdrückenden Gruppe. In Abgrenzung zu sicherem Ort (safe space), da angenommen wird, dass kein Ort 100% sicher ist.
- Skillshare
-
deutsch: Wissensweitergabe; Bezeichnet die Weitegabe von Wissen oder Fähigkeiten
- Slots
-
deutsch: die Position, die Zeitnische; bezeichnet einen Abschnitt zum Beispiel in einem Programm
- Soli-Socke
-
Ursprünglich eine Socke am Infopunkt in die Menschen Geld werfen können. Das Geld wurde als finazielle Unterstützung an Menschen mit wenigen fianziellen Mittel umverteilt, damit diese weiter Teil der Besetzung sein können.
- SUV
-
Sport Utility Vehicles; sogenannte Stadtgeländewagen
- Tekmîl
-
Methode der kurdischen Freiheitsbewegung zur Persönlichkeitsentwicklung durch Kritik und Selbstkritik auf der Grundlage des Paradigmas Abdullah Öcalans
- Theory of Change
-
Theorien darüber, wie sich die gesellschaftliche/politische Situation verändern lässt
- TIN-Café
-
Raum der Zusammenkunft für TIN*-Personen (siehe TINA), in dem Austausch, Organisierung und Empowerment ermöglicht werden soll
- TINA
-
Transgeschlechtlich, Intergeschlechtlich , nicht binäre, Agender Menschen; als Überbegriff für alle Menschen welche nicht Cis männlich oder cis weiblich sind; siehe: Transgeschlechtlich, Intergeschlechtlich, nicht binäre, Agender, cis-männliche Person, cis-weiblich
- transgeschlechtlich / trans* / transgender
-
Selbstbezeichnung für Menschen, die sich nicht ausschließlich dem bei Ihrer Geburt zugeordneten Geschlecht zugehörig fühlen. Wird häufig auch mit einer Geschlechtsbezeichnung verbunden. Beispiel: eine Frau, die auch trans* ist kann sich als Transfrau bezeichnen.
- Transformative Justice / Transformative Gerechtigkeit
-
Überbegriff für verschiedene Formen der Gerechtigkeitsarbeit, welche eine strafende Staats-/ Polizeijustiz ablehnt. Der Begriff wurde Ende des 20. Jahrhunderts in Amerika von Schwarzen Frauen und Queers als Antwort auf die Gewalt und die Ungerechtigkeiten von Polizei und Justiz geprägt.
- triggernd
-
deutsch: auslösend. kommt aus der Traumaarbeit und meint das Auslösen einer Zurückversetzung (oder andere negative Reaktion) durch einen Reiz in oder wegen einer traumatischen Erfahrung. Wird zum Teil nur für heftige negative Reaktionen genutzt, umgangssprachlich zum Teil auch um eine generelle Reaktion auszudrücken.
- Tripod, Tripods
-
deutsch: Dreibein. In der (Wald)besetzungsbewegung ist damit meistens ein großes dreibeiniges Gestell aus Baumstämmen oder anderen Materialien gemeint, welches von mindestens einer Person besetzt/beklettert werden kann, um die Räumung durch Polizei zu erschweren. Größere Varianten können auch zum bewohnen genutzt werden.
- UAC
-
Unser Aller Camp, Ausweichcamp in Keyenberg nach und während der Räumung von Lützerath
- UAW / Unser aller Wald
-
ehem. Waldbesetzung in Keyenberg im Nachbardorf von Lützerath
- Whitelocks
-
Bezeichnet Filzlocken („Dreadlocks“) welche von weiß postionierten Menschen getragen werden.
- xier
-
Ein Neopronomen, welches an Stelle von sie/er benutzt werden kann um über Menschen zu reden. Häufig benutzt von nicht-binären Personen (siehe nicht-binär)
- XR
-
„Extinction Rebellion“. XR ist eine Gruppe innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung, die durch zivilen Ungehorsam auf die Klimakrise aufmerksam macht.
- ZAD (zone à défendre)
-
auf englisch: Zone to Defend; auf deutsch: zu verteidigendes Gebiet. Eine aus Frankreich stammende Protestform, die darauf abzielt, mittels dauerhafter Besetzung eines von Umweltzerstörung bedrohten Gebietes, dieses zu schützen und weitestgehend unter Selbstverwaltung zu stellen.